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Uneinigkeit bei EU-Lieferkettengesetz

Die AK OÖ sieht einen möglichen historischen Tag vorüberziehen, kommt es am Freitag auf EU-Ebene nicht zu einer Zustimmung zum Lieferkettengesetz. ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher will sich bei der Abstimmung enthalten, obwohl der grüne Koalitionspartner die Volkspartei zur Zustimmung auffordert. In der oö. Industrie sieht man das Gesetz hingegen als Weg zu noch mehr Bürokratie.

Die Grünen ließen am Donnerstag nicht locker mit ihrer Forderung an ihren großen Koalitionspartner, zuzustimmen. Zu Wort meldete sich die Chefin der Grünen Wirtschaft, Sabine Jungwirth: „Das Lieferkettengesetz betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen bzw. in Risikosektoren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeiter:innen“, erinnerte sie. „Gleichzeitig profitieren zehntausende EPU und KMU in Österreich, die jetzt schon sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaften.“ Die entscheidende Frage für Kocher sei: „Unterstützt er die verantwortungsvoll wirtschaftenden Unternehmen in Österreich – oder lässt er sich vor den Karren der ewiggestrigen Kammerlobbyisten spannen, die im Interesse der Großkonzerne jeden Fortschritt blockieren?“ Der Wirtschaftsminister sollte aus Sicht der Grünen (Wirtschaft) „im Sinne der Interessen der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen seine angekündigte Enthaltung bei der Abstimmung zum Lieferkettengesetz noch einmal überdenken“, forderte Jungwirth.

AK sieht „Win-win-Situation“ für Europa und globalen Süden

Die Arbeiterkammer (AK) forderte stets eine strenge Auslegung des Lieferkettengesetzes. Sie argumentiert seit langem, dass so eine „Win-win-Situation“ für die heimische Wirtschaft und den globalen Süden entstehen könne. Arbeitgeberorganisationen wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung waren hingegen laufend kritisch, warnen vor einer Überregulierung und unterstützen die Enthaltung Kochers, der ja neue Verhandlungen auf EU-Ebene will. Der erzielte Kompromiss sei für die meisten heimischen Unternehmen nicht umsetzbar, argumentiert der Regierungspolitiker.

Was bedeutet das Lieferkettengesetz?

Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind. Nötig ist morgen eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten.

AK: Freiwillige Verpflichtungen wirken nicht

Freiwillige Verpflichtungen wirkten nicht, verwies AK-Oö-Chef Stangl auf eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2020. Nur ein Drittel der EU-Unternehmen führe tatsächlich Sorgfaltsprüfungen (Due Diligence) im Hinblick auf Menschenrechte, Umweltschutz und Arbeitsstandards in den Lieferketten durch. Jeden Tag schädigten große Unternehmen das Leben von Menschen und die Umwelt auf der ganzen Welt. Bestehende Gesetze würden Unternehmen nicht zur Rechenschaft ziehen, wenn etwa Unfälle geschehen.

„Erstmals gibt es die Chance, verbindliche Mindeststandards für große Unternehmen in der EU und deren Zulieferbetriebe einzuführen und damit auch den Profit durch Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU zu unterbinden“, so Stangl. Darüber hinaus würde es tendenziell die Position der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken – sowohl im globalen Süden als auch in der EU, sagt eine AK-Studie, erinnerte Stangl. Diese positiven wirtschaftlichen Auswirkungen würden laut Studie aber nur dann eintreten, wenn ein wirksames, verbindliches EU-Lieferkettengesetz beschlossen und umgesetzt werde.

Österreich hat intensiv mitverhandelt

Österreich habe über Monate den ausverhandelten Kompromiss mitverhandelt, so Stangl. Auch Kocher ließ gestern wissen, man habe sich auf EU-Ebene intensiv eingebracht. „Nicht zuletzt deshalb steht bei der Abstimmung am Freitag auch die Glaubwürdigkeit Österreichs auf dem Spiel“, glaubt Stangl.

Wirtschaftskräfte sehen Angriff auf Wettbewerbsfähigkeit

Der Wirtschaftskammer- und IV-nahe Verein oecolution sieht die Sache naturgemäß anders. Auch beim Lieferkettengesetz zeige sich, „gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“, so Geschäftsführerin Elisabeth Zehetner in einer Aussendung am Donnerstag. „Der vorliegende Entwurf ist ein weiterer Angriff auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung.“ Dass Österreich nun genau das einfordere, sei ein wichtiges Signal für die Wirtschaft und vernünftig.

Voest-Chef fürchtet Überregulierung

Und scharfe Kritik an dem neuen Lieferkettengesetz kommt auch aus der oberösterreichischen Industrie. Die Richtlinie sei in ihrer jetzigen Form in der Praxis nicht umsetzbar, warnt der Vorstandsvorsitzende der voestalpine, Herbert Eibensteiner und sagt: „Bitte nicht noch mehr Bürokratie! Wir haben jetzt bereits genug davon.“ Die aktuelle EU-Kommission habe zu Beginn ihrer Amtszeit eine Reduktion der Regulierungen versprochen. Tatsächlich sehe er – Eibensteiner – aber einen steten Anstieg der Bürokratie in Richtung einer Überregulierung.

Attac-Kritik an Kocher

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac übte hingegen heftige Kritik an der angekündigten Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher. Der Wirtschaftsminister zeige, „dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz. Zusätzlich torpediert er in letzter Minute einen von Österreich mitverhandelten Kompromiss zwischen Kommission, Rat und Parlament“, kritisiert Theresa Kofler von Attac Österreich.