Die in Russland geborene Künstlerin Anna Jermolaewa lebt und lehrt an der Kunstuniversität Linz und gestaltet heuer den österreichischen Pavillon. Die Kunsthistorikerin Gabriele Spindler – sie stammt aus Ried im Innkreis – betreut als Kuratorin die Ausstellung.
Eigene Fluchterfahrung verarbeitet
Die 54-jährige Jermolaewa zeigt in der Parkanlage Giardini in mehreren Arbeiten, was sie persönlich, aber zugleich auch Millionen von Menschen bewegt: Die eigene Fluchterfahrung. 1989 ist sie aus der UdSSR nach Österreich geflüchtet, nachdem sie Mitbegründerin der oppositionellen Partei Demokratische Union war und eine regimekritische Zeitung herausgegeben hatte. Anna Jermolaewas Kunst sei aber keine Aufarbeitung eines Traumas, sagt Kuratorin Gabriele Spindler im Gespräch mit dem ORF OÖ. Vielmehr möchte die Medienkünstlerin ein Mitgefühl für Millionen von Fliehenden wecken.
Blumensträuße als Symbol für Befreiung
Üppige Blumensträuße sind im Österreich-Pavillon aufgestellt. Rote Rosen und Nelken, Jasmin, Tulpen, Kornblumen, Orangenzweige und Lotus. Bei näherer Betrachtung versteht man den subversiven Witz und die Befreiungssymbolik, die dahintersteckt. Was frühlingshaft leicht anmutet, ist in Wirklichkeit eine klare politische Aussage. Jeder Strauß steht für eine andere, tatsächlich stattgefundene Revolution. „Ich hoffe, dass ich bald einen Strauß für Russland dazustellen darf“, so Jermolaewa.
Österreichische Telefonzellen in Venedig
Die Umsetzung der schweren Themen Flucht und Widerstand gelingt empathisch und poetisch. So sind auch die sechs österreichischen Telefonzellen zu verstehen. Sie waren früher im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgestellt und waren bis vor kurzem dort noch im Einsatz. Anna Jermolaewa sagt: „Telefonzellen stehen für mich für Hoffnungen und Sehnsüchte. Ich bin im Westen 1989 angekommen und habe exakt in so einer Telefonbox zuhause angerufen und meiner Familie gesagt, dass es geklappt hat und ich sicher im Westen angekommen bin. Die Originalnotizen von Asylsuchenden in den Telefonzellen machen wie Graffitis Gefühle von Hoffnung bis Aussichtslosigkeit spürbar“.
Schwanensee-Ballett bis Putin weg ist
Mehr als zwei Jahre dauert bereits Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Anna Jermolaewa nimmt in ihrer Arbeit „Rehearsal for Swan Lake“ („Proben für Schwanensee“) darauf Bezug und arbeitet dazu mit der ukrainische Balletttänzerin Oksana Serhejeva, die sie in Wien kennengelernt hat, zusammen. Diese tanzt im Tütü zu Tschaikowskys Schwanensee. Die künstlerische Kooperation sei als klares politisches Statement zu verstehen. „Rehearsal for Swan Lake“ ist ein Protest mit künstlerischen Mitteln. Hinter dem Tanz steckt eine Codierung, denn in Russland würde Schwanensee im Loop im TV gezeigt werden, sobald sich politsche große Umbrüche ereignen würden. „Hoffentlich sehen wir Schwanensee 2024 endlich im Fernsehen“ Und bis es soweit ist, üben wir für den großen Tag“, so Jermolaewa.
Biennale-Beitrag soll international Interesse wecken
Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) spricht von einem weiteren „Glücksgriff“ im heurigen Superkulturjahr: „Es ist einerseits eine große Freude, die Arbeiten der Linzer Kunstuniprofessorin Anna Jermolaewa hier präsentieren zu können, andererseits ist es auch eine große Anerkennung dafür, dass in unserem Land zeitgenössischer Kunst eine große Bühne geboten wird. Mit der Kulturhauptstadtregion Salzkammergut, mit dem Brucknerjahr und mit dem Beitrag zu Biennale rechne ich damit, dass wir ein großes internationales Publikum für Oberösterreich begeistern werden." Das Land Oberösterreich fördert den heurigen Beitrag von Anna Jermolaewa zur Biennale mit 100.000 Euro, neben privaten Sponsoren zahlt der der Bund als Eigentümer des 1934 eröffneten Pavillons knapp mehr als eine halbe Million Euro.
Empathie für Flüchtlinge schaffen
Das internationale Interesse am Österreichpavillon ist sehr groß. „Für mich ist es eine große Ehre. Ich bin als Flüchtling angekommen und darf Österreich vertreten. Diese große Bühne gibt mir die Möglichkeit, die Botschaft zu vermitteln, dass Putin weg muss. Ich wünsche mir nichts Sehnlicheres, als dass er wegkommt“, so Anna Jermolaewa. „Ich behandle immer die gleichen Themen aus verschiedenen Blickwinkeln. Es geht nicht um mich, sondern ich spreche stellvertretend für Menschen auf der Flucht. Ich möchte, dass die Menschen für Flüchtlinge eine Empathie entwickeln. Flüchten zu müssen, kann ganz schnell passieren und jeder Mensch ist irgendwo auf der Welt ein Ausländer.“, sagt die Künstlerin.
Die Biennale findet heuer von 20. April bis 24. November statt und lockt Hunderttausende Besucher an. Der Brasilianer Adriano Pedrosa stellt die Kunstschau heuer unter das Thema „Foreigners Everywhere – Überall Fremde“. Insgesamt sind in der 60. Ausgabe der Kunstbiennale von Venedig 331 Künstlerinnen und Künstler in 88 nationalen Pavillions zu sehen.