Weather Report
Jun Tendo / Public domain
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Lust aufs Leben

Die Geschichte des Jazz – Teil 5

Im fünften Teil zur Geschichte des Jazz dreht sich am Sonntag ab 21.03 Uhr in der Sendung „Lust aufs Leben“ mit Michael Huemer alles um Jazz Rock, Electric Jazz und Noise Music.

Die Einführung von elektrisch verstärkten und elektronisch erzeugten Klängen revolutionierten den Sound des Jazz. Im Laufe von zwei Jahrzehnten zeigte sich, dass der elektrifizierte Fusion Jazz kommerziell erfolgreich ist, obwohl er anfänglich am Erfolg der Rockmusik nur mitnaschen wollte. Er wird vor allem von Hörern geschätzt, die aus dem Lager des Rock kommen. Für manchen Jazzliebhaber war das anfänglich ein Grund für den Vorwurf, dass die Jazzer um des schnöden Mammons willen musikalische Ideale aufgeben. Mit der Zeit produzierte der Einsatz elektroakustischer Technik künstlerisch überzeugende Resultate.

Da wären zunächst elektronische Instrumente, bei denen die Klänge vollelektronisch erzeugt werden wie die Tasteninstrumente, die als Keyboards zusammengefasst werden, allen voran Synthesizer.

Hammond-Orgel
pixabay/maprifi

E-Piano verdrängt die Hammond-Orgel

Das erste elektrifizierte Keyboard im Jazz war die elektrische Hammond-Orgel, die dann vom E-Piano verdrängt wird. Sehr beliebt wurde danach das Modell Fender-Rhodes, dessen heller, metallischer Sound auf zahllosen Alben in den 70ern zu hören ist. Weitaus beweglicher wurde es mit dem Synthesizer, vor allem der von Moog, mit denen man Grundgeräusche erzeugen konnte, die durch verschiedene Filter und andere Geräte modifiziert werden konnten. Joe Zawinul, Herbie Hancock, Chick Corea stiegen alle vom E-Piano auf den Synthesizer um. Daneben gibt es die Gruppe der elektroakustischen Instrumente, bei denen der Ton mechanisch erzeugt und erst dann elektrisch verstärkt und bearbeitet wird. Dazu zählen über Verstärker und Lautsprecher gespielte Gitarren und andere Instrumente, darunter elektrisch verstärkte Saxophone, Trompeten, ja selbst Schlagzeuge unter Vorschaltung von Wah-Wah- und Fuzz-Pedalen, Hall- und Echoanlagen, Ringmodulatoren, Phasenmanipulierapparate, Geräte zur Oktavverdoppelung.

„Weather Report“

Die meisten Bands und Musiker, die sich seit 1969 dem Electric Jazz verpflichteten, kamen aus dem Umfeld von Miles Davis. Eine der erfolgreichsten Gruppen war „Weather Report“. Mit dem Namen der Gruppe, die 1970 von Saxophonist Wayne Shorter und dem Wiener Pianisten Joe Zawinul gegründet wurde, sollte auf den sich ständig ändernden Charakter ihrer Musik, ihre Unvorhersagbarkeit angespielt werden. Das Album „Heavy Weather“ wird zum bestverkauften der Gruppe. Der neue Stil zeigte sich am besten in dem Stück „Birdland“. Zawinul wurde zu dieser Komposition inspiriert, als er Count Basies Band in einem New Yorker Club mit demselben Namen hörte.

Weather Report
Jun Tendo / Public domain
Weather Report, 1981

Zawinul ahmte auf seinem Synthesizer den satten Sound von Basies Bläsern nach. Es war ein Titel, der zum Mitklatschen animierte oder auch zum Tanzen, die Platte soll auch in zahllosen Fitnessstudios zu Aerobic-Übungen aufgelegt worden sein. Hinweisen muss man auch auf einen neuen Bassisten in der Band. Jaco Pastorius spielte den E-Bass mit einer Klarheit und Schnelligkeit, die man vorher bei einem elektrischen Bass nicht gekannt hatte. Neben Zawinul, Shorter und Pastorius ist Alex Acuña am Schlagzeug und Manolo Badrena am Tamburin.

Sendungshinweis

„Lust aufs Leben“, 8.3.20

„Mahavishnu Orchestra“

Eine in musikalischer Hinsicht interessante Formation, die der Electric Jazz bzw. die Fusion Music hervorgebracht hat, ist das „Mahavishnu Orchestra“ des Gitarristen John McLaughlin. Der 1942 in England Geborene wird sowohl von Musikerkollegen als auch Kritikern als einer der größten Gitarrenvirtuosen angesehen. Er begann seine Karriere als professioneller Musiker in Europa, geht 1969 in die USA und nimmt an den Aufnahmen von „Bitches Brew“ teil. 1970 wird er Schüler des Gurus Sri Chinmoy, der ihm den Namen „Mahavishnu“ in Sanskrit verlieh. Der damals 29jährige übernimmt diesen für seine erste eigene Gruppe. Dazu gehören der Keyboarder Jan Hammer, der Bassist Rick Laird, der Schlagzeuger Billy Cobham und der Geiger Jerry Goodman. Bei ihnen stand – anders als bei „Weather Report“ – die spontane Interaktion aller Musiker im Vordergrund ähnlich wie im Free Jazz der 60er-Jahre. Allein schon der Einsatz von McLaughlins Doppelhals-Gitarre war aufsehenerregend.

Mahavishnu Orchestra
Columbia

In der Architektur ihrer Musik war das Mahavishnu Orchestra für den weiteren Verlauf des Jazz zwiespältig, weil es gerade diese Band war, die das musikalische Wettrüsten anheizte. Die Geschwindigkeit solistischer Leistungen wurde zur olympischen Disziplin. Das sollte sich fortsetzen bei der Aufnahme „Love Devotion & Surrender“ mit Carlos Santana und danach beim Gitarregipfeltreffen mit Al DiMeola bzw. Larry Coryell und dem spanischen Flamencogitarristen Paco de Lucía. Das Rennen jenseits aller Speed-Limits zwischen McLaughlin und DiMeola erlangte eine absurde Dimension ausgerechnet auf einer akustischen Platte, sie hat sich über zwei Millionen Mal verkauft. „Birds of Fire“ ist das zweite Album des Mahavishnu Orchestras und kommt 1973 auf den Markt.

„Return To Forever“

Neben Joe Zawinul spielte Chick Corea ebenfalls E-Piano beim richtungsweisenden Fusion Album „Bitches Brew“. Zwei Jahre nach der Gründung von „Weather Report“ stellt Corea die Gruppe „Return To Forever“ zusammen. In den folgenden zehn Jahren kam es zu mehreren Besetzungswechseln, auch die Musik änderte sich. Die ersten beiden Platten waren noch federleichter Bossa Nova-Jazz mit Airto Moreira und Flora Purim.

Return to forever

Danach machte die Band eine stilistische Entwicklung zu härteren Rocksounds durch. Dafür sorgten schon die exzellenten Musiker wie Stanley Clarke am E-Bass, Al DiMeola an der E-Gitarre, Lenny White am Schlagzeug, sie bilden die perfekte Ergänzung zur Stilistik des Tastenvirtuosen. Corea spielte eine ganze Reihe elektronischer Keyboards, unter anderem ein Fender-Rhodes-E-Piano und verschiedene Synthesizer.

Mehr Unkonventionelles als Perfekte

In Europa brachte Mitte der 1970er Jahre eine Stilrichtung der Rockmusik Bewegung in die Jazzszene und sorgte für neue Impulse: der Punk. Lebensfreude, Spontanität, Tanzen und Körpererlebnis waren angesagt. Die Musik war kein leeres Kopf- oder Kunstprodukt mehr, sondern war echt spontan und kam von Herzen. Unkonventionelles und Eigenständigkeit waren gefragter als musikalische Perfektion. Viele der Avantgarde-Musiker kamen aus dem Bereich der experimentellen Rockmusik. Wirklich frei, das empfanden immer mehr Musiker, ist nur derjenige, der über alles, was sich ihm bietet, verfügen und entscheiden kann. Über Schönklang ebenso wie über Free Jazz, Weltmusik, Bebop, Rock, New Orleans Jazz, Trash Rock, Tango, HipHop. Die Botschaft des Jazz der 80er-Jahre heißt: „Anything goes“, „Alles ist möglich“.

„Noise Music“,„No Wave“, „Art Rock“, „Punk Jazz“

Das Schlagwort heißt „Noise Music“. John Zorn, ein 1953 geborener Multiinstrumentalist, gilt als Begründer. Der Altsaxophonist und Komponist ist die alles überragende katalytische Kraft und Integrationsfigur der New Yorker Downtown-Szene. „Noise Music“ – auch „No Wave“, „Art Rock“ oder „Punk Jazz“ genannt – vereint Spielarten, die sich in der Reibung zwischen Einflüssen des Freien Jazz einerseits und Punk, experimentellem Rock, Musik aus Zeichentrickfilmen, Fernseh-Werbespots, ethnischen Elementen ergeben haben, quasi ein Wildwuchs, eben „No Wave“, einer Musik, die gegen alle Wellen und Moden gerichtet ist. Sie setzt eigentlich dort fort, wo der Free Jazz begonnen hat. Noch schockierender, noch aggressiver und wilder mit allem brechend, was zuvor als musikalisch gültig und verbindlich schien. Das ist das einzige gemeinsame Charakteristikum, das die New Yorker Downtown-Bands eint: die Verweigerung und Ablehnung jeglicher musikalischer Kategorisierung. Herausragende Musiker dieser Richtung sind neben Mastermind John Zorn der Gitarrist Arto Lindsay, der Schlagzeuger David Moss, der Scratcher Christian Marclay, die Gitarristen Fred Frith und Elliott Sharp, der Saxophonist John Lurie, der Keyboarder Wayne Horvitz, der Bassist Bill Laswell und viele andere.

John Zorn

Kürze, Prägnanz und Radikalität

Die Noise-Musiker zertrümmern und atomisieren das Bisherige in blitzschnell wechselnde Klangereignisse. Als Programm dieser Musik dient das Zitat in im Zeitraffer überdrehten Tempo. Unter den rasenden, hetzenden, sich überschlagenden Geschwindigkeiten werden die Stücke und Formen immer komprimierter und kürzer, wie in einem Zeichentrickfilm oder Fernsehspot. Manchmal ist eine Minute schon zu lang. Zorn und Co wollen die Kürze, Prägnanz und Radikalität aktueller Formen des Rock mit Jazz-Improvisation in Verbindung bringen, um an die Stelle der Vision einer besseren, humaneren Welt ein nüchternes, zynisches „So-ist-es“ zu setzen. Die Musikerinnen und Musiker kritisieren die Unwirtlichkeit der Städte, den Wahnsinn einer ökologisch niedergemachten und militärisch hochgerüsteten Welt. Sie spiegeln und demontieren akustisch die Realität in ihrer ganzen Brutalität und Aggressivität.

Michael Huemer; ooe.ORF.at