Baustelle, Bauarbeiter, Arbeitslosenzahlen
APA/Harald Schneider
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Schwerpunkt Zeitgeschichte: Die Krise der Verstaatlichen Industrie in OÖ

„Vom Desaster zum Skandal – Die Krise der Verstaatlichten Industrie in Oberösterreich“ lautet der Titel einer zweiteiligen Sendung „Schwerpunkt OÖ Zeitgeschichte“ am 24. November und 1. Dezember ab 21.03 Uhr.

Die Voestler verstanden die Welt nicht mehr, als sie von der Öffentlichkeit mit den Worten „ihr lebt nur von unserem Geld“ oder „arbeitet doch endlich“ bedacht und beschimpft wurden. Das bisher ungeschriebene Dogma, wonach ein in der Verstaatlichten Industrie bestehender Arbeitsplatz unantastbar sei, war ins Wanken gekommen. Der Blaumann des Industriearbeiters stellte auf einmal das Pendant zum Ärmelschoner des Beamten dar. Das konnte Sekyra bei einer Protestversammlung verspüren als er seine Argumente vorbrachte. Sein legendärer Sager „wir sind pleite“ am 16. Juni 1987 wird in die Geschichte eingehen. Was war eigentlich davor passiert?

Ölspekulationen von Intertrading

Ein Blick in die Industriegeschichte zeigt, dass sich die österreichische Wirtschaft Ende 1983 allmählich aus der seit Anfang der 1980er Jahre anhaltenden Rezension gelöst hatte. Eine Erholung der Konjunktur – zwar langsam aber stetig – war 1984 und 1985 bemerkbar. Im Verlauf des darauffolgenden Jahres ließen diese nicht allzu starken Auftriebstendenzen schon wieder nach, die Wirtschaft beginnt zu schwächeln. Die Schwächephase bekamen auch die Betriebe der Linzer Industrie zu spüren. Die Dramatik dieser Krise kulminierte eben mit dem Eingeständnis von ÖIAG-Chef Hugo Michael Sekyra, bankrott zu sein.

Der Zusammenbruch der VOEST-Alpine AG war durch die wilden Ölspekulationen von Intertrading vorzeitig ausgelöst worden. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich beim benachbarten zweiten verstaatlichten Konzern, der Chemie Linz AG, vormals Österreichische Stickstoffwerke AG. Was Intertrading als Verlustbringer für die VOEST war, war das die Merx GmbH, die sich auch in Ölgeschäften verspekulierte. Die dramatischen Ereignisse in diesen beiden verstaatlichten Großbetrieben führten zu einem Umbruch am Linzer Standort.

Voestalpine heute ein Leitbetrieb

Die voestalpine mit Hauptsitz in Linz ist heute ein Leitbetrieb der österreichischen Wirtschaft. Mit 500 Konzerngesellschaften ist sie auf allen fünf Kontinenten und in mehr als 50 Ländern vertreten. Gestartet war das Unternehmen 1938 als Teil der nationalsozialistischen Kriegsindustrie in Linz. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte 1945 die Gründung der „Vereinigten Eisen- und Stahlwerke Österreichs“. Der Hüttenwerkskonzern wird ein Jahr später verstaatlicht und in „Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG“, kurz VÖEST umbenannt. 1973 findet die Fusion mit der Alpine Montan AG in Leoben und Donawitz statt, das neu gebildete Unternehmen heißt ab diesem Zeitpunkt „VÖEST-Alpine AG“. Der Konzern hatte also schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich, bis gegen Ende der 1970er die goldenen Jahre zu Ende gehen. 1975 wirft die VÖEST-Alpine AG das letzte Mal Gewinn ab, die extremen Verluste waren auf die internationale Stahlkrise zurückzuführen, weil sich die Nachfrage von Europa in den asiatischen Raum verschob. Der durch Überproduktion erzeugte Druck auf dem Stahlsektor konnte sich auch die VÖEST-Alpine nicht entziehen, schon allein aus der Tatsache heraus, dass es sich um einen eher kleinen Stahlproduzenten handelte.

voestalpine Stahlwerk
ORF OÖ

Zuschüsse von 50 Milliarden Schilling

Anfänglich wurden die anfallenden Verluste in der Staatsholding „ÖIAG“, die Abkürzung steht für „Österreichische Industrieverwaltungs-AG“ ausgeglichen. Die verstaatlichten Unternehmen bekommen zwar Zuschüsse von 50 Milliarden Schilling, die Wertschöpfung stagniert jedoch weiter. Geänderte internationale wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie neue Technologien, Marketingstrategien und Organisationsprinzipien lassen Defizite erkennen, die durch die von der österreichischen Bundesregierung betriebenen Beschäftigungspolitik noch verstärkt wurden. 20.000 Arbeitsplätze gehen so verloren. Nicht nur das Herzstück der verstaatlichten Industrie, die VÖEST, war gefährdet, sondern auch die Chemie Linz AG, die Steyr Daimler-Puch AG in Steyr und Hunderte von Gewerbe- und Handelsbetrieben als Zulieferer.

„Kampf für Vollbeschäftigung um jeden Preis“

Zu Beginn der 1980er-Jahre wird die VÖEST erstmalig auch ein Feindbild für die startende Grün-Bewegung aufgrund der schlechten Luftverhältnisse, die sich über die Landeshauptstadt legten. 1983 überweist die ÖIAG zur Verlustdeckung „letztmalig“ wie sie sagt drei Milliarden Schilling, 1984 waren weitere 2,5 Milliarden nötig. Da sich die ÖIAG zu 100 Prozent im Staatsbesitz befand, wurden die Verluste letztlich nicht von der Holding, sondern von den Bundesbürgern also dem Steuerzahler abgedeckt. Die regierende SPÖ unter Bundeskanzler Bruno Kreisky erkennt die angespannte Situation. Sie betont die Notwendigkeit von Reformen und beginnt, die Verstaatlichte als Mittel zur Beschäftigungspolitik zu verwenden. Die Probleme lagen auf der Hand: Beschäftigung um jeden Preis, Erhalt überkommener, einzementierter Strukturen, übermächtige Arbeitnehmervertreter, flatterhafte Stahlpreise, immense Sozialleistungen. Im Vordergrund standen durchaus nachvollziehbare Arbeitsplatzinteressen. Bruno Kreisky murmelt sich 1979 mit einem legendär gewordenen Sager in die Herzen der Bürger in seinem Kampf für Vollbeschäftigung um jeden Preis.

Parteipolitisch motivierte Einflussnahme

Man wird später von der beginnenden Krise der Verstaatlichten Industrie sprechen. Neben den enormen Verlusten steht die parteipolitisch motivierte Einflussnahme auf die Leitung der staatlichen Unternehmen zur Diskussion. Zahlreiche Spitzenposten waren politisch je nach Regierungszusammenhang einseitig oder im Proporz besetzt, immer mehr wird die Rolle der einflußreichen Betriebsräte kritisiert. Legendäre Personalvertreter wie Franz Ruhaltinger waren in der VÖEST genauso mächtig wie die jeweiligen Generaldirektoren. Kurz vor Weihnachten 1985 wird bekannt, dass die VOEST-Tochter „Intertrading“ einen Geschäftsverlust von 4,2 Milliarden Schilling einfuhr, resultierend aus Spekulationen am Rohölmarkt sowie im Stahl- und Maschinenhandel.

Sendungshinweis

„Schwerpunkt OÖ. Zeitgeschichte“, 24.11. und 1.12.19

Am 5. Juli hält der Generaldirektor der Voest-Alpine, Heribert Apfalter, eine Pressekonferenz in Linz ab, um die Bilanz des Unternehmens zu präsentieren. Angesichts der weltweit anhaltenden Schwäche der Stahlmärkte hatte Apfalter sein Heil in einer dramatischen Flucht nach vorne gesucht. Die Voest begann, ihre Fühler nach Bereichen auszustrecken, in denen man Ertragschancen sah. Sie überschritt dabei immer öfter die Grenzen der Seriosität und der vernünftigen Risikoabwägung. So lieferte der Konzern Noricum-Kanonen in den Irak-Iran-Krieg und missachtete damit die österreichischen Kriegsmaterialgesetze. In illegale Waffen- und Munitionsexporte waren auch Manager der Firma „Hirtenberger“ verwickelt. Unter Inkaufnahme von Milliardenrisken stieg man ins internationale Spekulationsgeschäft ein. Am Dienstag, den 26. November 1985, platzt die Bombe. Nach weiteren Verlustmeldungen ist für Verstaatlichtenminister Ferdinand Lacina von der SPÖ das Maß voll. Er entlässt den gesamten VOEST-Vorstand samt Generaldirektor Apfalter.

Voestalpine Hochofenarbeiter
APA/rubra

Personalabbau und stufenweise Privatisierung

Die Verstaatlichtenkrise der Jahre 1985 und 1986 wurde zum Wendepunkt in der österreichischen Wirtschaftspolitik. Nach der Zerlegung des Großkonzerns Voest-Alpine kommt es zu einem massivem Personalabbau und in weiterer Folge zur stufenweise Privatisierung. Im September 1986 wird das 900 Seiten umfassende Gesamtkonzept „Voest-Alpine Neu“ vom Vorstand unter Generaldirektor Herbert Lewinsky präsentiert. Für den Zusammenbruch des Konzerns werden Schuldige gesucht und mit dem Geschäftsführer der Voest-Tochter Intertrading Gernot Preschern gefunden. Die Intertrading war 1978 gegründet worden, um sogenannte Kompensationsgeschäfte abzuwickeln. Wenn beispielsweise die Voest Maschinen nach Nigeria lieferte und von dem devisenarmen Land dafür mit Öl bezahlt wurde, sollte Intertrading das Öl übernehmen und weltweit nach Abnehmern suchen. Intertrading kam offensichtlich auf den Geschmack und stieg selbst in den Ölhandel ein. Preschern, selbst ein rastloser Typ, ließ riesige Ölmengen kaufen und verkaufen, um auf steigende oder fallende Preise zu spekulieren. Das Motto des hemdsärmeligen Managers: „Raus auf die Märkte, rein ins Risiko“. Abgekoppelt von realen Warengeschäften wird mit Erdöl in Form von Papiergeschäften und Leerverkäufen gedealt. Und Intertrading boomt. Machte er 1982 einen Umsatz von sieben Milliarden Schilling waren es zwei Jahre später bereits 124 Milliarden. Die kleine Voest-Tochter mit 200 Beschäftigten hatte damit die Mutter mit einer Belegschaft von 70.000 Leuten um mehr als 30 Milliarden Schilling übertroffen.

Gernot Preschern flüchtet ins Ausland

1985 endet alles in einem Desaster. Geschäftsführer Gernot Preschern flüchtet ins Ausland, er ist unauffindbar. Die Ermittlungen sind deshalb ins Stocken geraten. Die Staatsanwaltschaft Linz lastet dem Intertrading-Manager einen Schaden von mindestens drei Milliarden Schilling an. Er steht im Verdacht folgender strafbarer Tatbestände: Untreue, fahrlässige Krida, Zahlung unerlaubter Provisionen, falsche Bilanz für das Jahr 1984, eine wesentliche Überschreitung des Risikorahmens der Intertrading sowie nicht korrekte Berichterstattung gegenüber den vorgesetzten Stellen. Es kommt zu einer Reihe von Gerichtsverfahren.

„Vom Desaster zum Skandal – Die Krise der Verstaatlichten Industrie in Oberösterreich“

Sonntag, 24.11.19

Teil 1: „Verstehen Sie bitte, wir sind pleite!“

Hier können Sie Teil 1 nachhören:

Sonntag, 1.12.19

Teil 2: Der Fall Intertrading

Hier können Sie Teil 2 nachhören:

Michael Huemer; ooe.ORF.at