Das Genre Krimi boomt und boomt. Ob in Stadt- oder Landkrimis – selten zuvor haben sich Leserinnen und Leser und Fernsehpublikum so zahlreich auf Spurensuche begeben. Während vor Jahren das Krimi-Angebot noch überschaubar war, legen Buchverlage heute nahezu jede Woche Neuerscheinungen auf. Allein im deutschen Sprachraum gibt es jährlich etwa 300 Neuerscheinungen.
Noch auffallender ist der hohe Anteil von Krimis im TV-Programm. In fast einem Drittel aller Fernsehproduktionen begeben sich Kommissare, Detektive, Hausfrauen, Pfarrer oder Forensiker auf Verbrecherjagd. Was heutzutage für hohe Einschaltziffern in TV-Programmen sorgt, war in den 50er- und 60er-Jahren – als das Fernsehen noch in den Kinderschuhen steckte – das Kriminalhörspiel im Radio. Klar, die Hörfunk-Sendetechnik hatte sich in den Nachkriegsjahren stark verbessert, Empfangsgeräte wurden für den Verbraucher leistbar und standen in ausreichender Menge zu Verfügung.
Legendäre Kriminalhörspielreihen entstanden
Die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswachstums beflügelte die kreativen Köpfe der Programmmacher und so entstanden legendäre Kriminalhörspielreihen. Serienhelden wie „Kommissar Maigret“, „Paul Temple“, „Dickie Dick Dickens“ oder „Sherlock Holmes“. Sie wurden zum Teil Straßenfeger. Das Landesstudio Oberösterreich hatte mit „Gestatten, mein Name ist Cox“ und „Alles klar, Herr Kommissar“ zwei Produktionen, die einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Beitrag zum Abendprogramm einer Familie darstellte.
Erika Neuberger erinnert sich: „Ich habe eine Episode in Erinnerung, die zeigt, wie stark Vorstellungen von einer Radiosendung sein können. Damals war ich bereits eine erwachsene Frau. Mein Mann und ich hörten ‚Wer ist der Täter?‘. Der Mörder schleicht sich von hinten an die Frau heran. Mein Mann, der mein ängstliches Gesicht beobachtet hatte, machte sich den Spaß, in dem Augenblick, in dem der Mörder die Frau anfasst, einen sonderbar gurgelnden Ton auszustoßen. Ich, total in die Handlung verstrickt, gab ihm darauf eine Ohrfeige, da ich in meiner Vorstellung die bedrohte Frau war. Statt empört zu sein, nahm er mich in die Arme.“
Sendungshinweis
„Lust aufs Leben – Kultur aus allen Richtungen“, 29.9. und 6.10.19
Kriminalrätsel zum Mitmachen
Ältere Hörerinnen und Hörer werden sich an diese Serie des Ratekrimis in den fünfziger und sechziger Jahren noch lebhaft erinnern. Sie waren geradezu ein Pflichttermin. „Wer ist der Täter?“ war so aufgebaut, dass eine kleine Textänderung oder Wendung in der Dramaturgie auf den Täter schließen ließ. Es wurden so nebenbei Spuren gelegt, die, aufmerksam zugehört, zum Täter führen konnten. In der Sendung wurde ein Kriminalrätsel zum Mitmachen präsentiert, vierzehn Tage später folgte die Auflösung. Die Einsendungen mit den richtigen Lösungen kamen oft von weit her, ungefähr tausend Zuschriften aus allen deutschsprachigen Ländern waren die Regel. Die Gewinner erhielten als Preis den Titel „Kommissar-Assistent“ verliehen und bekamen Kriminalromane und Krimibücher. Dem legendären „Kommissar Leitner“ verlieh der Schauspieler Hans Dolf seine tiefe und sonore Stimme.
Alle Archivbänder verschollen
Der Produzent und Regisseur von „Wer ist der Täter?“ hieß Erwin Gaudernak, er schrieb Monat für Monate neue Kriminalhörspiele nach Vorlagen aus dem wirklichen Leben. Insgesamt wurden 98 Folgen im Landesstudio Graz in der Steiermark produziert. Leider sind alle Archivbänder verschollen. Meines Wissens nach ist eine einzige Folge original und zur Gänze erhalten geblieben, nämlich die letzte mit dem Titel „Der arabische Dolch“. Sie wurde am 25. Juni 1967 erstmalig ausgestrahlt. Kommissar Leitner beschäftigt sich in diesem Kriminalfall mit einem Thema, dass damals ziemlich virulent war: das Verlangen bei jungen Menschen nach Suchtgiften und Drogen aller Art.
Die Sendungen zum Nachhören:
Sendung vom 29.09.2019
Teil 1: Schilderung des Tathergangs
Sendung vom 06.10.2019
Teil 2: Auflösung des Kriminalfalles
Michael Huemer; ooe.ORF.at