Suizid im Gefängnis: Bis zu zehn Fälle pro Jahr

Bis zu zehn Häftlinge pro Jahr nehmen sich in österreichischen Gefängnissen das Leben. „Das Risiko ist nicht mathematisch ausrechenbar“, sagte Karl Drexler, Leiter der Vollzugsdirektion im Gespräch mit der Austria Presse Agentur.

Einen Rückgang der Suizidrate hinter Gittern brachte die Einführung des Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions (VISCI). VISCI ist ein Formular mit 20 Fragen - u.a. zur sozialen Situation, der kriminellen Vergangenheit und der psychologischen Geschichte des Häftlings -, der die Vollzugsbeamten gleich bei der Einlieferung auf Umstände aufmerksam machen soll, die bei anderen Insassen zu einem Selbstmord oder Suizidversuch geführt haben.

Schließlich können neu Aufgenommene nicht immer sofort einem Fachmann vorgeführt werden, etwa wenn sie in der Nacht hinter Gittern landen. Außerdem: „Selbst eine Untersuchung durch eine Psychiater ist nicht sicher“, gab Drexler zu bedenken. „Es ist ein schwieriges Gebiet.“ Laut Drexler gibt es zwei kritische Zeitpunkte für den Selbstmord eines Häftlings: Dies seien die ersten Tage in Untersuchungshaft - hier setzt VISCI an -, sowie die Zeit rund um die Urteilsverhängung. Wer vom freien Fuß eine Strafhaft antritt, sei statistisch gesehen weniger gefährdet.

Ständige Überwachung nicht möglich und zulässig

Eine ständige Überwachung der Häftlinge sei nicht möglich „und rechtlich wohl auch nicht zulässig“, meinte der Vollzugsdirektor. Aus dem gleichen Grund werden Vorsorgemaßnahmen, wie den Gefängnisinsassen alle Dinge wegzunehmen, mit denen man sich zu Tode bringen könnte, nur in Akutfällen und kurzfristig gesetzt, bis der Selbstmordgefährdete einem Facharzt vorgeführt werden kann.

In den Jahren 1991 bis 2005 lag die Selbstmordrate in Österreichs Gefängnissen bei durchschnittlich zwölf pro Jahr, mit der niedrigsten Zahl von acht Fällen und einem Höchststand von 20 Suiziden. 2006 wurden laut Drexler 14 Selbstmorde verübt, ein Jahr darauf waren es 13. Im Dezember 2007 wurde VISCI eingeführt. 2008 sank die Anzahl der Suizide daraufhin auf sechs. 2009 waren es sieben Fälle, im vergangenen Jahr neun, wobei laut dem Vollzugsdirektion zwei der Selbstmörder ohne VISCI in den Strafvollzug gekommen waren, weil sie gleich bei der Aufnahme eine psychologische Untersuchung erhalten hatten. 2011 entwickle sich bisher wie das vorangegangene Jahr. Fazit: Durch VISCI liege die Selbstmordrate „deutlich unter dem, was der Durchschnitt der vorangegangen Jahre war“ und bleibe unter der Grenze von zehn Fällen pro Jahr.

System funktioniert wie eine Ampel

Das VISCI-System funktioniert wie eine Ampel: Rot bedeutet hohe Gefährdung, gelb heißt unsicher, grün nichts zu erkennen. Liegt eine erhöhtes Risiko vor, soll der Betreffende unverzüglich durch einen Facharzt untersucht werden, der dann weitere Schritte veranlasst. Bei „Gelb“ wird der Häftling zumindest nicht allein untergebracht.

„Österreich ist an sich schon mit einer besonders hohen Suizidrate belastet. Im Strafvollzug hat man eine Situation, wo man besonders leicht einen solchen Ausweg sucht“, gab Drexler zu bedenken. Suizidversuche in den frühen Nachmittagsstunden bleiben meist Versuche. „Da ist zu viel Bewegung im Haus“, so der Vollzugsdirektor. Zu Tode kommen Selbstmörder meist in der zweiten Nachthälfte. Ledige wählen eher den Suizid als Verheiratete. Das Risiko sinkt, wenn der Betroffene Kinder hat, und ist größer, falls er in der Vergangenheit Gewalt- oder Suchtgiftdelikte begangen hat, schon Selbstmordversuche hinter sich oder solche angekündigt hat bzw. eine Geschichte psychischer Erkrankungen aufweist.

Die „spektakulärsten“ Fälle

Ein spektakulärer Fall von Selbstmord im Gefängnis betraf den „Häfnliteraten“ Jack Unterweger, der 1994 in Graz wegen neunfachen Mordes schuldig gesprochen wurde. Das Urteil wurde durch seinen Suizid in seiner Zelle wenige Stunden später nie rechtskräftig. Der Briefbomber Franz Fuchs, der eine lebenslange Haftstrafe in der Justizanstalt Graz-Karlau verbüßte, erhängte sich im Februar 2000.

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