Analyse: Wählernot und Kompromiss

Wie die Bundespräsidentenwahl, bei der viel von Polarisierung und Spaltung die Rede war, zu bewerten ist, untersucht ORF-Redakteur Gernot Ecker in einer Analyse.

Versuchen wir doch einmal, das Ergebnis ganz anders zu interpretieren. Nicht als Spaltung, als Polarisierung, als Graben, der angeblich durch Österreich geht. Das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl ist auch der Ausdruck einer Wählernot. Jener Not, sich für den kleinsten gemeinsamen Nenner entscheiden zu müssen. Für die kleinste gemeinsame Übereinstimmung. Wer wirklich wählen wollte, dem blieb oft nichts anderes übrig, als bei seiner Stimmabgabe einen Kompromiss einzugehen.

Zwischen allen Stühlen

Was soll man tun, wenn man zwar für die EU ist, aber die Grüne Willkommenskultur in der Flüchtlingsfrage nicht gut heißt? Van der Bellen wählen? Was sollte man tun, wenn man seit langem Reformbedarf in der österreichischen Innenpolitik verspürt, aber diesen wohl nicht in der Entlassung einer Regierung sieht, wenn sie nicht spurt. Hofer wählen? Was tun, wenn man sich gern wundern möchte, dass vieles möglich ist in diesem Land, aber man es beinahe als Drohung empfindet, dass man sich wundern werde, wenn einer die Wahl gewinnen sollte? Was tun, wenn ein Kandidat vorweg gleich einmal sagt, einen Parteichef nicht mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen, auch wenn diese Partei die meisten Stimmen erhalten hat?

Für diese Menschen war es ein sehr schwieriger Wahlsonntag, wenn sie wählen gehen wollten. Denn, wie hat es ÖVP-Chef Josef Pühringer ausgedrückt - es fehle die politische Mitte. Die fehlte nicht wenigen. Jene Mitte, die im ersten Wahlgang eine bis vor kurzem weitgehend unbekannte und politisch unerfahrene Irmgard Griss noch ausgefüllt hat. Mit beachtlichen 18 Prozent. Eine Mitte, die SPÖ und ÖVP immer stärker aufgeben. Mit einer Politik, die oftmals danach schielt, der eigenen Klientel zu gefallen und sie zu bedienen. Und selbst das mit zweifelhaftem Erfolg, sieht man sich an, wie Unternehmer derzeit auf die ÖVP zu sprechen sind. Oder der linke Flügel der SPÖ auf die eigene Regierungsmannschaft in der Flüchtlingsfrage und dem Umgang mit der FPÖ.

Suche nach der Mitte

Man gibt die Mitte zusehends mit einer Politik auf, die vielmehr nach bequemen Mehrheiten Ausschau hält als nach unbequemen Wahrheiten und Notwendigkeiten. Einer Politik, die oft nur noch reagiert statt rechtzeitig agiert - die Flüchtlingsfrage ist das jüngste und beste Beispiel dafür. So eine Politik, das hat schon der erste Wahlgang gezeigt, zwingt Wähler zu Alternativen. Und da bleibt im politischen Bogen eben nur noch weiter Rechts oder noch weiter Links - beides allerdings in Österreich mit durchaus bürgerlichen Wurzeln. Da bleibt dann eben Hofer gegen Van der Bellen.

Wer allerdings glaubt, vor allem die FPÖ hätte jetzt auf einmal ein Potential von bis zu 50 Prozent der Wähler, ob Unzufriedene oder Protestwähler, der hat nicht verstanden. Denn vielen blieb am Sonntag gar nichts anderes übrig als einen Kompromiss einzugehen. Sie wählten nicht Hofer oder Van der Bellen, weil sie überzeugte blaue oder grüne Wähler sind. Auch nicht, weil sie in Zukunft noch einmal blau oder grün wählen würden.

Keine andere Wahl

Ein Parameter, dass Blau oder Grün plötzlich über ein deutlich höheres Wählerpotential verfügen, war diese Wahl sicher nicht. Vielmehr ein Indiz dafür, dass eine politische Mitte in Österreich derzeit tatsächlich weitgehend unbesetzt ist. Und viele Wähler eben keine andere Wahl hatten.

Gernot Ecker, ooe.ORF.at

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