Falsche Vollwaise: Schriftliches Urteil zu Verjährung

Im Prozess, den ein jahrzehntelang fälschlich als Vollwaise geführtes ehemaliges Heimkind gegen das Land OÖ angestrengt hat, muss der Richter nun über die Verjährung entscheiden. Der Akt wurde am Dienstag im Landesgericht Linz geschlossen.

Das Urteil soll in einigen Wochen schriftlich ergehen. Erst dann kann gegebenenfalls über den verlangten Schadenersatz - 1,6 Mio. Euro - verhandelt werden.

Kindheit in Heimen verbracht

Der heute 67-Jährige hatte seine Kindheit in Heimen verbracht und war dort als Vollwaise geführt worden. Erst Jahrzehnte später fand er heraus, dass er eine Mutter hatte. Zudem soll der Mann in den Einrichtungen misshandelt und missbraucht worden sein. Laut seinen Aussagen konnte er sich aber bis 2007/2008 nicht daran erinnern. Erst dann seien die Erinnerungen nach einer lebensbedrohlichen Operation wieder an die Oberfläche gekommen. Er schrieb sie auf, veröffentlichte sie als Buch und entschied sich schließlich zur Schadenersatzklage.

Amnesie „zu 70 bis 80 Prozent“ wahrscheinlich

Der psychiatrische Gutachter hält die Amnesie bis zu dem medizinischen Eingriff „zu 70 bis 80 Prozent“ für wahrscheinlich. Mit Sicherheit sei das wissenschaftlich aber nicht zu sagen. Nach der Operation seien immer mehr Details bewusstseinsfähig geworden, erläuterte der Sachverständige. Er geht davon aus, dass der Kläger bis zum 15. Lebensjahr unter einer psychischen Hospitalisierung litt. Das habe die Verdrängung begünstigt. Aktuell zeige der Mann eine - eindeutig feststellbare - posttraumatische Belastungsstörung.

Der heute in Trier in Deutschland lebende Kläger schilderte, dass er zunächst seine Erinnerungen an die Heimzeit auf die Seite gedrängt habe, „sonst hätte ich Schluss gemacht“. Er sei zwei Jahre durch Europa getrampt, dann aber in Deutschland wegen illegalen Grenzübertritts inhaftiert worden, weil er keinen Pass und keine Staatsbürgerschaft hatte.

In Deutschland lediglich geduldet gewesen

„Es hat ihn besonders belastet, dass er keine Identität hatte“, sagte sein Lebensgefährte. Er schilderte auch, dass sein Freund wegen seines unsicheren Status in Deutschland lediglich geduldet gewesen sei und weder Arbeit noch Sozialhilfe bekommen habe. Der 67-Jährige habe nie über seine Vergangenheit gesprochen und Fragen dazu nicht beantwortet. Beispielsweise habe er offenbar nicht gewusst, woher eine große Narbe auf seiner Brust stamme. Erst beim Niederschreiben seiner Erinnerungen nach der Operation sei plötzlich die Erinnerung daran wieder da gewesen.

Entscheidung über Verjährung

Der Richter muss nun entscheiden, ob der Fall verjährt ist, oder ob der Mann wirklich erst nach der Operation in der Lage gewesen ist, Ansprüche geltend zu machen. Die Entscheidung dürfte rund acht Wochen in Anspruch nehmen.