Lebenskraft trotz Muskelschwäche

Hinter der Diagnose Muskelschwäche steht manchmal auch eine unheilbare Krankheit. Was manche Eltern verzweifeln lässt, löst bei den erkrankten Kindern und Jugendlichen aber geradezu bewundernswerten Lebenswillen aus.

Es gibt hunderte verschiedene Muskelerkrankungen, die häufigste Form ist die vererbbare Muskeldystrophie Duchenne. Einer bis drei von 5.000 neugeborenen Buben leidet laut Oberarzt Rudolf Schwarz vom Med Campus IV der Uniklinik Linz an dieser Form. In Oberösterreich sind ein bis zwei Kinder pro Jahr betroffen. Die zweithäufigste Muskelerkrankung, die Spinale Muskelatrophie, sei zwar etwas seltener, sie kommt nach Angaben des Neonatologen alle ein bis zwei Jahre bei einem Neugeborenen vor. Diese Krankheit können Buben und Mädchen bekommen.

Muskelzellen gehen verloren

Die Muskelschwäche nehme im Laufe der Jahre ständig zu, erklärt Oberarzt Rudolf Schwarz von der Linzer Uniklinik.

Bei der Duchenne Muskeldystrophie fällt bei der Geburt des Kindes den Eltern meist noch nichts auf, sondern erst, wenn ihr Liebling mobil wird. Genau so war es auch bei Familie Hinterberger aus Linz. Mama Claudia erinnert sich noch, dass ihr Sohn Paul gesund zur Welt gekommen ist, dass er mit einem Jahr gegangen ist. Nichts habe auf eine Krankheit hingedeutet. Nur die Plattfüße ihres inzwischen 18 Monate alten Sohnes wollte sie von einer Kinderärztin ansehen lassen - dieser Besuch änderte aber alles.

Paul

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Paul besucht jetzt die HTL in Leonding

Der Medizinerin fiel auf, dass sich der Kleine zum Aufstehen an seinen Oberschenkeln aufstützte, was ein Kind in dem Alter nicht machen soll. Die Kinderärztin ließ den Kleinen sofort auf eine Dystrophie, eine Muskelschwäche, untersuchen. Der Verdacht bestätigte sich - Paul leidet an der Duchenne Muskeldystrophie, der häufigsten Form der Muskelerkrankungen.

"Momentan bricht eine Welt zusammen“

Für die Eltern war die Nachricht ein Schock. „Momentan bricht eine Welt zusammen, wenn man erfährt, dass das eigene Kind eine unheilbare Krankheit hat“, sagt der Vater.

Positiv denken

„Wir haben versucht, das beste daraus zu machen“, sagt Pauls Vater.

Auch die Mutter gibt zu, dass man zuerst in ein Loch fällt. Ihr Mann habe sie dann gestützt und immer gesagt, dass sie ja Zeit hätten - dass sie sich auf die Krankheit einstellen könnten. Denn Paul war bis zu seinem zehnten Lebensjahr mobil und dann wurde er immer schwächer.

„Das kann man nicht ändern“

Bei Muskelschwäche gehen mit der Zeit immer mehr Funktionen verloren. Irgendwann ist für die Kinder zum Beispiel das Gehen nicht mehr möglich. Was für die Buben und Mädchen gleichzeitig immer wieder den Verlust von einem Stück Selbstständigkeit bedeutet - mit dem sie meist besser umgehen können als die Angehörigen.

Rollstuhl

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So war es dann auch einmal bei Paul. Er benötigte einen Rollstuhl, was für ihn ganz klar war. Hadern gibt es für den heute 18-jährigen HTL- Schüler eigentlich nicht, er sagt: „Ja es ist so - das kann man nicht ändern“ und meint das auch ganz ehrlich.

„Traurig war es schon“

Nicht mehr gehen zu können „ist nicht so cool“ meint Paul, ohne weiter mit seinem Schicksal zu hadern.

Kurze Tiefs gab und gibt es aber trotzdem. Damals, als die Freunde plötzlich nicht mehr mit ihm spielen wollten, weil er nicht mehr mit konnte oder auch aktuell, wenn es ums Fortgehen geht. Stiegen in Lokale verhindern, dass er mit seinem Rollstuhl mitkommen kann. Das wurmt den 18-jährigen, das ist zu spüren, und trotzdem hört man von ihm nur: „Das ist ein bisserl blöd“, mit einem Lächeln ohne einen Funken Bitterkeit.

Paul

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In seiner Klasse ist Paul einer von vielen. Ganz wichtig ist für ihn, sein Leben so normal wie möglich leben zu können. Dabei hilft ihm ein so genannter Schulassistent. Manuel unterstützt Paul in der HTL Leonding. Beim Liftfahren, bei Mitschreiben in manchen Fächern oder wenn es darum geht, Sachen aufzubauen oder Schulsachen zu vorzubereiten.

Schulassistent und Freund

Manuel hilft Paul bei alltäglichen Aufgaben und hat „hohen Respekt“ vor dem HTL-Schüler, weil er die „eher schwierige“ Schule durchzieht.

Zwischen dem 28-Jährigen und Paul hat sich eine freundschaftliche Basis gebildet. Nicht nur Paul profitiert von seinem Schulassistenten, dieser bestätigt gern, dass auch er von Paul lernt, zum Beispiel, wenn es um Willenskraft geht: „Zu sagen, ja, das will ich machen, ich will Programmierer werden. Da hat er hohen Respekt von mir“.

Einmal nach Amerika reisen

Aber auch seine Eltern und sein großer Bruder lernen viel von Paul - Lebensmut, Geduld und neue Schritte zu akzeptieren. Und vielleicht sogar auch zu träumen - denn seine Ziele sind klar: Programmierer will er werden und einmal nach Amerika reisen.

Paul

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Selbsthilfeverein Marathon

Paul ist keine Ausnahme mit seiner Gelassenheit und Geduld - die Kinder leben ihr Leben, so gut es ihnen möglich ist. Hilfe und Austausch für die Eltern, Angehörigen und Betroffenen gibt es inzwischen seit 20 Jahren beim österreichweiten Selbsthilfeverein Marathon mit Sitz in Linz. Dort wird über neueste Therapien gesprochen, emotionale Herausforderungen oder auch soziale Unterstützung.

Auffallend ist für Obmann Bernd Scholler, dass viele Familien nicht einmal wissen, dass man von der Gebietskrankenkasse oder der Pensionsversicherungsanstalt Unterstützung bekommen kann.

Hoffen auf Forschung

Was den Umgang mit der Diagnose betrifft, da helfe den Angehörigen oftmals der Zugang über den Zeitfaktor. Das ist auch der Grund, warum Oberarzt Rudolf Schwarz im persönlichen Gespräch immer wieder betont, dass nicht von Monaten oder Jahren die Rede ist, sondern von Jahrzehnten in der Prognose. „Und Jahrzehnte bedeutet sehr viel in der Medizin. Wenn Sie daran denken, es hat Jahrzehnte gegeben, da hat´s für Diabetes keine Therapie gegeben, inzwischen ist das gar kein Thema mehr.“

Die Hoffnung liegt also bei der Forschung. Und dass diese Hoffnung berechtigt ist, beweist auch die Tatsache, dass im letzten Jahr zwei neue Therapien für Muskelkrankheiten zugelassen wurden in Europa.

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