Patientinnen und Patienten auf dem Gang im „Chirurgie & Sport Sanatorium Schenk“ in Schruns
ORF
ORF
Chronik

Hilferuf: Spitäler vor dem Kollaps

Von unhaltbaren Zuständen in den Spitälern berichten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem ORF Oberösterreich. Am Mittwochnachmittag reagierte ÖVP-Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander mit Erklärungen und Vorschlägen. Kritik kommt von SPÖ und NEOS.

„Wir sehen Patientenzahlen, die wir in Jahrzehnten noch nie erreicht haben“, schildert der Mediziner, der anonym bleiben möchte, dem ORF Oberösterreich. Er wendete sich am Dienstag mit einem Hilferuf an das Landesstudio. Die Auslastung sei um bis zu 75 Prozent gestiegen, was zur völligen Überlastung des Systems führe. Für den Ansturm seien zum Großteil kranke, ältere Menschen verantwortlich, viele würden mit Influenza oder Covid kommen. Freie Betten seien Mangelware. Vergangenen Donnerstag seien bis zu zehnmal mehr Betten nötig gewesen, als zu Dienstbeginn noch frei waren, so der Arzt.

Wartezeiten von zehn Stunden

Patienten würden viel später als normal zum ersten Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin kommen, so der Mediziner. Teilweise würden sie mit Schmerzen oft stundenlang herumliegen. Lebensrettende Therapien, wie intravenöse Antibiotika, Flüssigkeiten oder diagnostische Untersuchungen, würden häufig stark verzögert eingeleitet. „Dass dies nicht immer gut geht, können Sie sich sicher vorstellen“, so der Mediziner in seinem Schreiben. Wartezeiten von zehn Stunden seien in seiner Ambulanz keine Seltenheit mehr.

Auch die Pietät komme dabei oft zu kurz. Das Pflegepersonal sei angesichts der hohen Patientenzahlen zu überlastet, um sich um die Menschen in üblicher Weise zu kümmern. Der Mediziner schildert die Szenen in der Ambulanz in drastischen Worten: „Viele Patienten liegen auf den Gängen und Korridoren, manchmal halb nackt und warten auf Untersuchungen oder Heimtransporte. Toilettengänge sind oft nicht möglich, verwirrte Patienten schreien, reißen sich Decken oder Kleider vom Leib und liegen exponiert herum“.

Zustände „unter jeder Würde“

Auf Nachfrage des ORF Oberösterreich bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Spitäler in Oberösterreich werden ähnliche Zustände beschrieben. Nahezu alle wollen anonym bleiben. Ihren Aussagen zufolge brodelt es aber, etwa auch im Linzer Kepler Uniklinikum. Von einem Mitarbeiter des Spitals heißt es gegenüber dem ORF Oberösterreich, dass es inzwischen unter jeder Würde sei, was sich abspiele. Über 80-jährige Patienten würden mitten in der Nacht entlassen, um das Krankenbett freizubekommen. Wartezeiten bis in die Nacht seien selbst für Mütter mit kleinen Kindern keine Seltenheit. Ursächlich sei ein Personalproblem vor allem auf ärztlicher Seite.

Pflegekräfte am Ende

Auch von einem Mitarbeiter des Salzkammergut-Klinikums wird auf ORF-Nachfrage von unhaltbaren Zuständen berichtet. Was sich auf manchen Stationen abspiele, sei „die Hölle“. Noch vor Monaten habe man nicht gedacht, dass so etwas möglich sei. Patienten aller Altersklassen würden in Betten am Gang liegen, weil die Zimmer überbelegt seien. Pflegekräfte seien mit ihren Kräften völlig am Ende.

Regelversorgung nicht mehr gegeben

Die Arbeitsbedingungen seien katastrophal und eine Regelversorgung mittlerweile nicht mehr gegeben. Aus den Linzer Ordensspitälern kommen ähnliche Rückmeldungen: Auch dort seien die Ambulanzen überlaufen, Wartezeiten von vier Stunden bereits eher normal. Zu latenten Personalproblemen komme die Infektsaison mit Influenza und anderen Viren.

Haberlander: Spitalsambulanzen nur im Notfall aufsuchen

Die für den Gesundheitsbereich verantwortliche Landeshauptmannstellvertreterin Christine Haberlander hat in einer Aussendung auf die Vorwürfe aus dem Krankenhausbereich reagiert. Darin schreibt sie, dass eine starke, gleichzeitig auftretende Infektionswelle von Corona, RSV und Grippe in allen Bundesländern, aber auch europaweit die Spitäler an ihre Grenzen bringe. Erschwerend komme hinzu, dass derzeit viele Hausärzte und Ordinationen urlaubsbedingt geschlossen seien und daher mehr Patientinnen und Patienten in die Spitalsambulanzen kämen. Zusätzlich seien auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spitäler derzeit selbst erkrankt. Haberlander schließt sich daher auch den Appellen der Krankenhausmitarbeiter an, eine Spitalsambulanz wirklich nur im Notfall aufzusuchen.

Die Gesundheitslandesrätin führt auch drei Punkte an, für die die Weichen im gesamten österreichischen Gesundheitssystem gestellt werden müssten:

  • In den Finanzausgleichsverhandlungen müsse dringend darüber gesprochen werden, wie die Sozialversicherung mit dem niedergelassenen Bereich ihre Primärversorgungsaufgabe nachhaltig sicherstellen kann. Wie alle Stellen besetzt werden können und wie die Versorgung in den Ferien aussieht.
  • Es werde eine Neuregelung der Finanzierung der Spitalsambulanzen benötigen. Hier brauche es deutlich mehr Mittel vom Bund und der Sozialversicherung.
  • Die „Patientenlenkung“ müsse ausgebaut werden. Der richtige Ort für eine bestimmte Behandlung müsse klarer definiert und umsetzbar werden. Das Land Oberösterreich leisten dazu bereits einen Beitrag mit dem Pilotprojekt mit 1450 gestartet haben. Über einen Ausbau und eine Intensivierung – auch auf Bundesebene – muss man diskutieren.

Reaktionen von SPÖ und NEOS

Für Peter Binder, den Gesundheitssprecher der SPÖ in Oberösterreich, belegen die Hilferufe aus den Spitälern das Scheitern der ÖVP-Gesundheitspolitik: „Die Kassenfusion war ein Fehler, wir bräuchten dringend die 500 Mio. Euro Rücklagen der OÖ GKK, um die Ärzt:innenstruktur im Land zu verbessern und so die Spitalsambulanzen zu entlasten.“ Für Binder ist es daher höchste Zeit für einen Krisengipfel aller Systempartner.

Für NEOS Oberösterreich ist das „Barometer schon lange im Roten Bereich“. NEOS OÖ-Gesundheitssprecherin Julia Bammer verweist in einer Aussendung darauf, „dass die Probleme im Gesundheitsbereich lange herangezüchtet sind und sich daher auch nicht mit einem Fingerschnippen beseitigen lassen: Es ist das Ergebnis dessen, dass gerade die in der Landesregierung zuständige ÖVP jegliche Kritik und konstruktive Ideen immer wieder als Schlechtreden abgetan hat.“ Nötig wären dagegen nachhaltige Lösungen.