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Chronik

Viele Pflegekräfte leiden unter „Long Covid“

Kaum eine Berufsgruppe ist dem Coronavirus stärker ausgesetzt als das medizinische Personal in den Spitälern. Viele haben sich im Laufe der Pandemie bei der Arbeit an vorderster Front selbst angesteckt. Wie sich jetzt zeigt, häufig mit Langzeitfolgen.

Vor allem in den Reihen der Pflegerinnen und Pfleger leiden viele unter „Long Covid“. Nahezu in allen oberösterreichischen Spitälern gibt es Betroffene, zeigt eine ORF-Recherche. Allein am Klinikum Steyr, wo vergangenes Jahr Oberösterreichs erster Coronavirus-Patient stationär aufgenommen wurde, ist fast ein Dutzend Fälle bekannt. Einer davon ist der leitende Ambulanzpfleger Christian Weinberger. Seit mittlerweile zehn Monaten leidet er an den Folgen einer CoV-Infektion. Angesteckt hat er sich im Dienst, im Patientenkontakt.

Als Berufskrankheit anerkannt

Mittlerweile ist „Long Covid“ bei dem Stationsleiter als Berufskrankheit anerkannt. Einen normalen Arbeitstag zu bewältigen ist für ihn heute nicht mehr möglich. Das Leben sei anders mit den Spätfolgen. Er sei weniger belastbar, lichtempfindlich, häufig erschöpft und stark wetterfühlig. „Es ist, als würde plötzlich eine Nebelwand auf dich zukommen, und ein Tunnelblick macht zu“, beschreibt Weinberger seine Müdigkeitsattacken. Er brauche dann eine Pause, bis sich das Gefühl wieder lege.

Der Vater zweier kleiner Kinder ist mit seinen Symptomen nicht alleine. Auch bei ihm, im Klinikum Steyr gebe es Kollegen, die wesentlich schwerer zu kämpfen hätten. Nachfragen in den Spitälern zeigen, dass Betroffene immer wieder auch durch lange Krankenstände dauerhaft ausfallen. Auf vielen Stationen müssen die Dienstpläne angepasst werden, weil manche Pflegekräfte nach einer CoV-Infektion keine Nachtschichten oder Zwölfstundendienste mehr schaffen.

Ambulanzpfleger
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Ambulanzpfleger Christian Weinberger beim Dienst im Klinikum Steyr

Hohe Dunkelziffer vermutet

Die Dunkelziffer dürfte groß sein, vermutet auch Doris Hofer, Pflegedirektorin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz. Sie war nach einer CoV-Infektion selbst von „Long Covid“ betroffen, spricht von Gedächtnisstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Hofer sagt, sie sei eine Zeit lang „nicht sie selbst gewesen“. Sie ermutigt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über ihre Beschwerden zu sprechen, damit in der Personalplanung auf ihre Bedürfnisse nach mehr Ruhephasen Rücksicht genommen werden könne. Viele würden über ihre Beschwerden nicht sprechen, weshalb nicht genau gesagt werden könne, wie viele Kolleginnen und Kollegen tatsächlich betroffen seien.

Das liege auch daran, dass viele Betroffene ihre Symptome nicht als Krankheit oder „Long Covid“ wahrnehmen, sagt Peter Roitner. Er ist ärztlicher Leiter des Rehabilitationszentrums Austria in Bad Schallerbach. Dort werden zunehmend „Long Covid“-Patientinnen und -Patienten für eine dreiwöchige Reha aufgenommen. Vielen sei anfangs nicht bewusst gewesen, dass ihre Beschwerden in Verbindung mit einer durchgemachten CoV-Erkrankung stehen.

Vielfältiges Krankheitsbild

Zum überwiegenden Teil haben „Long Covid“-Betroffene bei ihrer Infektion zuvor nur einen leichten Verlauf durchgemacht. Die Symptome tauchen erst später auf, so Roitner. Zwei Drittel seiner Patientinnen und Patienten würden an chronischer Erschöpfung leiden. Bei manchen seien die Beschwerden chronischer Husten, Atemnot und Brustschmerzen. Auch neurologische Symptome sowie Kopf-, Muskel- und Gelenksschmerzen seien häufig feststellbar. „Den einen Long-Covid-Patienten gibt es nicht“, sagt Roitner, das Krankheitsbild unterscheide sich individuell.

Es brauche in der Reha nicht nur körperliche Arbeit mit den Betroffenen, sondern auch psychologische Betreuung. Die psychische Belastung sei sehr groß. Für viele sei es schwer zu begreifen, dass sie nach nur einer Woche Fieber und einer vergleichsweise leichten Erkrankung plötzlich nicht mehr ins Leben zurückfinden. Häufig dauere es sehr lange, bis an „Long Covid“ Erkrankte in ihren Job zurückkehren können. Es gelinge oft nur in kleinen Schritten. Die Betroffenen müssten lernen, dass sie sich nicht überlasten dürfen, und erst wieder herausfinden, wo jetzt ihre Grenzen liegen.

Peter Roitner Reha
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Der ärztliche Leiter des Rehazentrums Austria (BVAEB) Peter Roitner mit einem Patienten

Syndrom weitgehend unerforscht

Von „Long Covid“ wird gesprochen, wenn zumindest ein Symptom auch drei Monate nach einer CoV-Infektion noch spürbar ist. Betroffen seien, so Roitner, vor allem 30- bis 60-Jährige und vermehrt Frauen. Sie hätten nach ihrer Ansteckung zum überwiegenden Teil einen leichten Verlauf gehabt. Unter den „Long Covid“-Patientinnen und -Patienten seien nur selten Menschen, die mit ihrer Infektion auf einer Intensivstation gelegen seien. Wie lange die Symptome anhalten können, sei noch ungewiss, da es sich bei „Long Covid“ um ein neues Syndrom handle, das erst noch besser erforscht werden müsse. Eine Reha zeige aber deutliche Verbesserungen in der Leistungsfähigkeit.

413 Neuinfektionen seit gestern

Der Krisenstab des Landes hat für Oberösterreich von Donnerstag auf Freitag 413 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet. 455 aktuelle Infektionsfälle waren beim Krisenstab registriert. 3.922 Personen waren in Quarantäne. Oberösterreichs 7-Tage-Inzidenz liegt bei 179. Die höchste 7-Tage-Inzidenz wird aus dem Bezirk Braunau gemeldet, der Wert liegt dort bei 312. 177 Covid-19-Patienten wurden in Krankenhäusern behandelt, 43 von ihnen auf Intensivstationen. 1.794 Menschen sind seit Ausbruch der Pandemie im Zusammenhang mit dem Virus SARS-CoV-2 verstorben.