Adelheid Kastner im Fernsehstudio
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Chronik

Bessere Prognosen gegen Femizide

Die Linzer Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner hat sich in einem ORF-Interview für eine stärkere Vernetzung der Behörden ausgesprochen. Damit könnten bessere Prognosen bei Gewalt gegen Frauen gemacht werden und diese möglicherweise verhindert werden.

Neun Frauen sind heuer bereits von Männern in Österreich ermordet worden. Nach dieser Serie an Gewalttaten reagiert die Bundesregierung mit einem Maßnahmenpaket. Die betreffenden Einrichtungen sollen besser vernetzt werden und die Tatmotive besser durchleuchtet. Gewaltschutzeinrichtungen fordern hingegen mehr Geld und Personal für den Opferschutz.

„Unglaubliche Selbstermächtigung“ der Täter

Auf die Frage, ob die Männer, die Frauen töten, etwas gemeinsam hätte, sagte die Linzer Psychiaterin Adelheid Kastner im Interview in der „Zeit im Bild 2“, dass es so viele Problemkonstellationen wie Fälle gebe. Die einzige Gemeinsamkeit sei eine „unglaubliche Selbstermächtigung“ der Täter. Ein „überproportional großer Anteil, verglichen mit dem Anteil an der Bevölkerung“ der Täter habe einen migrantischen Hintergrund, „aber es findet sich auch ein sehr, sehr hoher – höher als der Migrantenanteil natürlich – Teil gestandener Österreicher darunter“. Da müsse man sich schon fragen, warum diese Selbstermächtigung in Österreich eine durchaus traurige Tradition hat.

Psychiaterin Kastner über Femizide

Warum werden in Österreich so viele Frauen von ihren Partnern und Ex-Partnern ermordet, und was kann dagegen unternommen werden? Dazu ist die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner zu Gast bei Armin Wolf.

Man gehe davon aus, dass die häusliche Gewalt während der Pandemie zugenommen hat, man gehe aber ebenso davon aus, dass Frauen durch die Bestimmungen des Lockdowns dem viel weniger entkommen können – und damit viel mehr auf das häusliche Milieu konzentriert seien. Daher gebe es wohl auch weniger Anzeigen, so Kastner: „Es hat offenbar nicht zu einer Zunahmen von Tötungsdelikten geführt, aber man geht sehr wohl davon aus, dass es zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt geführt hat, die ja oft im Vorfeld der Tötungsdelikte zu beobachten ist.“

Alle Informationen sammeln

Auf die Frage, was die Politik tun müsste, um die Frauen besser zu schützen, sagte Kastner, dass eine Risikoeinschätzung im Vorfeld oder eine Prognose verbesserungsfähig wäre, die alle Werkzeuge und Maßnahmen, die man im Vorfeld habe, zielgerichtet und effizient anwendet: „Man müsste alle Informationen, die zu einem Fall vorhanden sind, sammeln.“ Sie habe vor Kurzem einen Fall gehabt, in dem ein Mann seine Partnerin schwer verletzt hat: „Da war im Akt, den ich bekommen habe, keine einzige Vorstrafe. Wenn man dann aber auch die in diesem Akt zufällig vorhandene Risikoeinschätzung des BMI gesehen hat, dann war klar, dass es da 13 Polizeiinterventionen gab – wegen völlig ähnlich gelagerter Vorfälle, die nicht zu schweren Folgen geführt haben. Mit praktisch allen Partnerinnen, die dieser Mann in den letzten acht Jahren hatte und er hatte viele. Wenn man diese Informationen nicht hat und nicht zusammenträgt, wird man halt immer zu einer sehr wackeligen und unzutreffenden Prognose kommen.“ Eine bessere Vernetzung und Fallkonferenzen, „die eigentlich rechtlich etabliert sind, wären unbedingt erforderlich.“

Mehr Gespräche mit Umfeld und Zeugen

Kastner sprach sich daher für Risikoeinschätzungen, „sobald es um das Thema häusliche Gewalt geht“, aus. Gespräche mit Zeugen könnten oft eine Entwicklung aufzeigen, die eine bessere Risikoeinschätzung möglich machte, als singuläre Gewaltvorfälle: „Dann sitzt vielleicht jemand da und sagt ‚Nie mehr wieder, nie mehr wieder‘ und die Frau, die halt auch nicht schuld sein will daran, dass die Familie jetzt so belastet ist und zerbricht, sagt ‚Naja, er wird eh nicht wieder‘. Und dann geht man nachher her und sagt ‚Hätte sie doch‘.“ Diese Umkehr der Täter-Opfer-Rolle könne man sich gründlich sparen, sagt Kastner im ORF-Interview.