Urabstimmung bei MAN
FOTOKERSCHI.AT/KERSCHBAUMMAYR
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Wirtschaft

MAN-Mitarbeiter gegen Übernahmeangebot

Gegen das Übernahmeangebot von Siegfried Wolf haben sich 63,9 Prozent der 2.215 Beschäftigten des MAN-Werkes in Steyr ausgesprochen, die an der Urabstimmung am Mittwoch teilgenommen hatten. Der Konzern nimmt jetzt die Schließungspläne wieder auf.

Um 7.00 Uhr wurde in Steyr mit der Auszählung der Stimmen begonnen, am späteren Vormittag sickerte dann das Ergebnis durch. 2.356 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MAN-Steyr waren abstimmungsberechtigt, 2.188 gültige Stimmen wurden abgegeben. 63,9 Prozent der Stimmen sprachen sich gegen den Übertritt in die WSA Beteiligungs GmbH von Ex-MAGNA-Chef Siegfried Wolf unter den geänderten Rahmenbedingungen aus, 34,9 Prozent dafür – 1,2 Prozent stimmten ungültig. Bei den Leasingkräften soll die Ablehnung mit 71,4 Prozent höher gewesen sein als bei der Stammbelegschaft.

Abstimmungsergebnis bei MAN Steyr
privat
Die Mitarbeiter von MAN-Steyr wurden Donnerstagvormittag vom Betriebsrat über das Abstimmungsergebnis informiert

„Mit Enttäuschung nimmt der Vorstand der MAN Truck & Bus diese Entwicklung zur Kenntnis“ ist in einer ersten Reaktion des Unternehmens auf das Abstimmungsergebnis zu lesen. Der zusammen mit der WSA ausgearbeitete Plan habe die Rettung eines großen Teils der Belegschaft vorgesehen, verbunden mit einer klaren Zukunftsperspektive für den Standort durch die Fertigung von Fahrzeugen der Marke Steyr sowie externen Aufträgen von MAN und anderen Unternehmen.

MAN nimmt Schließungspläne wieder auf

Laut Aussendung nimmt MAN als Konsequenz die Pläne zur Schließung des Werks in Steyr bis 2023 wieder auf. Im nächsten Schritt wird zudem der Sozialplan neu verhandelt werden müssen – da der derzeitige Stand an die Übernahme durch WSA geknüpft war. MAN-Personalvorstand und Arbeitsdirektor Martin Rabe erklärte: „Wir sind vom Ergebnis wirklich sehr enttäuscht, da wir die angebotene Alternative zur Schließung als einen für alle Beteiligten sehr guten Weg angesehen haben.“ Offenbar habe es innerhalb der Belegschaft noch zu wenig Transparenz über „das wirklich gute Konzept der WSA Beteiligungs GmbH“ geben, bedauerte Rabe.

Betriebsrat: Einschnitte „zu gravierend“

Für den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzende Helmut Emler sei das Konzept von Wolf zwar „schlüssig, die Einschnitte wären aber zu gravierend“ gewesen. Das sah offenbar auch die Belegschaft so. Der Betriebsrat meinte, dass zudem in den vergangenen Wochen viele Fragen offen geblieben seien, die auch Wolf nicht habe beantworten können.

Urabstimmung bei MAN
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Der Stimmzettel der Urabstimmung in Steyr

Dass MAN das Werk nun schließen will, ist für die Belegschaftsvertretung noch nicht fix: „Als Betriebsrat werden wir morgen beginnen, mit MAN das Gespräch zu suchen“, so Emler. Die Schließung sei erst für 2023 vorgesehen, die Kunststofflackiererei, wo rund 400 Mitarbeiter beschäftigt sind, hätte sogar bis 2027 weiter für MAN arbeiten sollen. Ziel sei eine Lösung wie in Deutschland, wo die ursprünglichen Sparpläne entschärft worden sind. Man sei auch anderen Investoren gegenüber offen, sagte er auf das Konsortium rund um den Industriellen Karl Egger (KeKelit) angesprochen, das Interesse gezeigt hatte, aber von MAN nicht ernsthaft erwogen worden war.

Helmut Emler über die Abstimmung der MAN-Belegschaft

Der Betriebsrats-Vorsitzender von MAN-Steyr erklärt das Abstimmungsverhalten der Belegschaft.

Rechtliche Schritte nach der Kündigung des Standortsicherungsvertrags durch die MAN-Zentrale seien vorerst „nicht das Thema“, denn „wir haben Vollauslastung, es gibt derzeit keine betriebsbedingten Kündigungen“. Eine Schließung „werden wir aber nicht akzeptieren“.

Wolf: Missinterpretationen und Fehlinformationen

„Ich kann dieses Votum heute nur mit großem Bedauern zur Kenntnis nehmen“, so Siegfried Wolf. „Mein Team und ich haben unglaublich viel Herzblut in dieses Projekt investiert, weil ich überzeugt davon bin, dass mit diesem Potenzial an Know-how in der Fahrzeugproduktion an diesem Standort unter der Marke Steyr etwas Neues, Großes entstehen hätte können.“ Leider sei es ihm nicht gelungen, genügend Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten, um Missinterpretationen und Fehlinformationen entkräften zu können. „Dabei kann ich den Zorn vieler nur zu gut verstehen. Aber auch ich konnte das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, sondern nur ein solides, durchdachtes Konzept für die Zukunft entwickeln“, heißt es in der Erklärung. Wolf hatte stets betont, eine Zukunft „mit den Mitarbeitern“ anzupeilen.

Siegfried Wolf
Team Fotokerschi
Investor Siegfried Wolf bedauert das Ergebnis der Urabstimmung

„Mein Team und ich haben uns in den letzten Monaten voll und ganz auf dieses Konzept konzentriert. Wir haben an neuen Produkten getüftelt und detaillierte wirtschaftliche Überlegungen entwickelt, unter welchen Bedingungen wir neue konkurrenzfähige Fahrzeuge auf den Weltmarkt bringen können. Wir müssen nun dieses Votum zur Kenntnis nehmen.“ Ob das nun einen endgültigen Rückzug bedeutet, blieb offen.

SPÖ: „Belegschaft hat klar gemacht, was sie will“

Die erste Reaktion aus der Landespolitik auf die Entscheidung der Steyrer Belegschaft kam von der SPÖ-Landesvorsitzenden Birgit Gerstorfer. Die Belegschaft in Steyr habe klar gemacht, was sie will, daher stehe Gerstorfer an ihrer Seite. Die Landesrätin forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz und Landeshauptmann Thomas Stelzer (beide ÖVP) auf, alle Verantwortlichen an einen Tisch zu holen und daneben einen Plan, damit Steyr zu einem zentralen Standort für nachhaltige, grüne Mobilität wird.

ÖVP: „Votum ist Ausdruck der Enttäuschung“

Das Votum sei Ausdruck der Enttäuschung über dem Umgang des MAN-Konzerns mit den Mitarbeitern des Werks ins Steyr, so Landeshauptmann Thomas Stelzer und Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (beide ÖVP). Die Enttäuschung sei auch verständlich, denn die Beschäftigten hätten sich eine derartige Behandlung keinesfalls verdient. Das Land OÖ werde weiter für den Erhalt des Standorts Steyr kämpfen.

Das Votum sei jedenfalls kein Schlusspunkt, man werde den MAN-Konzern in die Pflicht nehmen, auch andere Optionen ernsthaft ins Auge zu fassen und mit weiteren Interessenten zu verhandeln, so Stelzer und Achleitner. Denn es gehe hier nicht nur um die Zukunft eines traditionsreichen oberösterreichischen Produktionsstandortes, sondern auch um tausende Arbeitsplätze in Oberösterreich.

Grüne: „Votum ist eine satte Rechnung“

Die Wirtschaftssprecherin der Grünen in Oberösterreich, Ulrike Schwarz, sieht im Votum der Steyrer Belegschaft „eine satte Rechnung“ aber auch eine Aufgabe und eine Chance. Die Aufgabe der Politik in Bund und Land sei es, sich jetzt mit langfristigen Konzepten für den Standort effektiv ins Spiel zu bringen. Für Schwarz müsse es ein Projekt sein, das sich am notwendigen sozial-ökologischen Wirtschaftswandel orientiert und damit auf neue Technologien und E-Mobilität setzt.

NEOS für Zukunfts- und Innovationsgipfel

Unverständnis über die Zufriedenheit der Gewerkschaft über das Abstimmungsergebnis äußerte NEOS-Landessprecher Felix Eypeltauer. Jetzt würden die Menschen die Rechnung für die Versäumnisse des vergangenen Jahrzehnts präsentiert bekommen. Die ÖVP konserviere alles, auch den Wirtschaftsstandort, so Eypeltauer. Man habe sich auf den historischen Lorbeeren ausgeruht, statt als Politik aktiv die Ansiedlung neuer Technologien zu forcieren. Landeshauptmann Thomas Stelzer sei jetzt gefordert, einen Zukunfts- und Innovationsgipfel einzuberufen, so Eypeltauer.

KPÖ: „Gemeinsam mit MAN-Belegschaft Lösung finden“

Der oö. KPÖ-Landessprecher Michael Schmida begrüßte die Entscheidung der Belegschaft, die sich „nicht einschüchtern lassen“ habe. Nun müsse „gemeinsam mit der MAN-Belegschaft“ eine Lösung gefunden werden. Attac Österreich sieht nun eine Chance für eine „grundlegende sozial-ökologische Neuausrichtung“, Steyr könne mittelfristig „Produkte für eine nachhaltige Mobilität herstellen“, etwa Züge und Straßenbahnen.

Geplante Übernahme durch Siegfried Wolf

Statt der bevorstehenden Schließung stand eine Übernahme durch den früheren Magna-Chef Siegfried Wolf im Raum. Produziert werden sollten unter anderem leichte Kastenwagen mit Dieselmotoren und Elektroantrieb sowie Pritschenwagen, Kastenwagen und mittlere Lkw zwischen sechs und zwölf Tonnen sowie ein City-Bus mit Elektroantrieb und ein Bus für den Regionalverkehr. Potenzial sieht er auch in der Aluminiumfertigung.

Wolfs Plan sah vor, von der aktuell knapp 1.900 Personen zählenden Stammbelegschaft rund 1.250 Leute übernehmen, denen allerdings eine bis zu 15-prozentige Kürzung des Nettoeinkommens droht. Im Gegenzug gibt es Bleibeprämien von 10.000 Euro und einen Sozialplan. „Stimmst du einem Übertritt in die WSA Beteiligungs GmbH unter den dir bekannten geänderten Rahmenbedingungen zu?“, lautete daher die Frage auf dem Stimmzettel. Investor Wolf hatte sich „ungeteilte Zustimmung“ gewünscht, aber zumindest zwei Drittel angepeilt.

MAN Steyr, Blick in Werkshalle auf mehrere Lkws
ORF

Die Lehrlinge haben bereits vor einigen Tagen abgestimmt. Das Leasingpersonal ist ebenfalls stimmberechtigt, vorausgesetzt man hat zum Zeitpunkt der Betriebsversammlung Ende März bereits für das Unternehmen gearbeitet. Die Stimmen der Leiharbeiter werden auch nicht getrennt ausgewertet – im Vorfeld war viel spekuliert worden, dass es ihnen vielleicht leichter fallen würde, gegen den Verkauf zu stimmen.

Schließung bis 2023

Im Vorjahr war bekanntgeworden, dass MAN im Zuge eines riesigen Spar- und Umstrukturierungsprogramms Tausende Stellen einsparen will. Anfangs war von bis zu 9.500 der weltweit 36.000 Arbeitsplätze die Rede, mittlerweile sollen nur noch 3.500 in Deutschland gestrichen werden. Das Werk in Steyr stand allerdings recht bald „zur Disposition“.

Hektische Verhandlungen der Belegschaftsvertretung folgten, allerdings ohne Erfolg. Die Konzernmutter beharrte weiter auf der Schließung bis 2023 oder einem Verkauf. Ende September kündigte MAN die bestehende Standortgarantie, die den Bestand des Unternehmens in Steyr bis zumindest 2030 hätte sichern sollen.

1919 Produktion der ersten Lkw

Das Werk in Steyr wurde 1914 fertiggestellt. 1919 begann die Produktion der ersten Lkw. 1989 übersiedelte man unter das Dach von MAN. MAN wiederum ist Teil der VW-Nutzfahrzeug-Sparte Traton. 1999 übernahmen die Oberösterreicher die gesamte Lkw-Fertigung der leichten und mittleren Baureihe von MAN. Das sind Fahrzeuge mit zwei oder drei Achsen, auch mit Allradantrieb ausgestattet, mit 150 bis 340 PS und einem Gesamtgewicht von 7,5 bis 26 Tonnen.

Darüber hinaus werden dort auch Sonderfahrzeuge sowie Komponenten für den Produktionsverbund des Konzerns gebaut, beispielsweise Fahrerhäuser. Außerdem befindet sich in Steyr die größte Lackieranlage Europas für Lkw-Kunststoffanbauteile. Auch Forschung und Entwicklung werden an diesem Standort betrieben. Zuletzt gab es auch eine Kleinserie von E-Trucks.

Einfahrt MAN Werk Steyr
Thomas Riha

Vor einem Jahr wurden die Schließungspläne der VW-Tochter MAN für den Standort Steyr erstmals medial publik gemacht. Die Maßnahme ist Teil eines konzernweiten Umstrukturierungs- und Sparprogramms, dem tausende Jobs zum Opfer fallen sollen. War die Belegschaftsvertretung in Steyr anfangs noch optimistisch, dass es „nur“ zu einem Personalabbau kommen werde, war bald klar, dass die Mutter das Werk „zu Disposition“ stellen will.

Im September machte MAN ernst und kündigte die Beschäftigungs- und Standortsicherungsverträge für Werke in Deutschland und Österreich aus wirtschaftlichen Gründen. Der Standortsicherungsvertrag hätte den Bestand des Unternehmens in Steyr eigentlich bis 2030 sichern sollen.