In ihrer 15-jährigen Berufstätigkeit habe sie noch keinen Mord von „derartiger Brutalität“ verhandelt, so die Staatsanwältin in ihrem Abschlussplädoyer. Der Angeklagte sei am 14. Oktober in Wullowitz „durch nichts und niemanden abzuhalten“ gewesen, den „netten und hilfsbereiten“ Flüchtlingsbetreuer „absichtlich“ mit zwei Messerstichen zu töten. Der anschließend niedergestochene Altbauer sei „einfach am falschen Tag am falschen Ort“ gewesen, stellte sie fest. Nachdem der 63-Jährige dem Afghanen sein Auto nicht herausgeben wollte, sondern ihn anschrie, habe dieser fünfmal zugestochen, bis „das Opfer ruhig war“.
Verteidiger für zeitlich begrenzte Strafe
Der Verteidiger hingegen versuchte das Bild eines kaltblütigen Täters, der Menschen „hingerichtet“ habe, zu widerlegen. Sein Mandant habe keineswegs durchdacht gehandelt, sondern sei von Wut gesteuert gewesen. Verschiedene Faktoren hätten am 14. Oktober zu einer Aufschaukelung der Gefühle des jähzornigen Mannes geführt. Eine Höchststrafe sei zuletzt aber deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Angeklagte ein „reumütiges Geständnis“ abgelegt habe, er bisher nicht straffällig geworden sei und wegen seiner inneren Anspannung nur eingeschränkt zurechnungsfähig gewesen sei. Der Verteidiger appellierte aufgrund dieser Milderungsgründe für eine zeitlich begrenzte Strafe (zwischen zehn und 20 Jahre). Dem zuvor von seinem Mandanten erbetenen Freispruch als „zweite Chance“ schloss er sich nicht an.
Kastner: Mann mit „zwei Gesichtern“
Zuvor waren am zweiten Verhandlungstag mit Spannung die Ausführungen der psychiatrischen Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner erwartet worden. Sie habe den Angeklagten als Mann mit „zwei Gesichtern“ kennengelernt.
Der Angeklagte, der im Oktober in Wullowitz einen Rot-Kreuz-Mitarbeiter und einen Altbauern erstochen haben soll, leide an einem „religiösen Wahn“. Sein Verteidiger hatte ihn daher als „krank“ bezeichnet, Kastner nur als „jähzornig“.
„Gesunder Mensch in alltäglichen Belangen“
In alltäglichen Belangen trete er als „gesunder Mensch“ auf . Er wisse selber von sich, dass er jähzornig sei, und habe Maßnahmen zum Gegensteuern entwickelt, berichtete die Expertin. Am 14. Oktober konnte er seine Wut gegen den Flüchtlingsbetreuer aber nicht mehr beherrschen. Seit längerer Zeit habe sich der Afghane von dem Rot-Kreuz-Mitarbeiter „benachteiligt“, „gekränkt“ und „herabgesetzt“ gefühlt.
Als dieser ihn am Tag der Tat noch vor anderen gemaßregelt habe, sei er derart in Rage geraten, dass er zugestochen habe. Als der Altbauer ihm später die Herausgabe des Autos für die Flucht verweigerte, musste auch er sterben. Trotz seiner inneren Anspannung habe der Angeklagte jedoch zwischen richtig und falsch unterscheiden können, meinte Kastner. Daher sei er auch zurechnungsfähig, wenn auch gemindert, wie sie ergänzte.
Mit Situation als „Bittsteller“ nicht zurechtgekommen
In seiner Heimat Afghanistan war er demnach gut situiert. Nach der Liebeshochzeit gegen den Willen der Familie flüchtete das Paar. In Österreich sei der Mann mit der Situation als „Bittsteller“ nur schwer zurechtgekommen. Er wollte laut eigenen Angaben auch wieder zurück nach Hause, seine Frau jedoch nicht. So stand der 33-Jährige in einem für ihn unlösbaren Konflikt, der zu einer Anspannung geführt habe, beschrieb Kastner, warum der Angeklagte in gewisser Weise nur eingeschränkt zurechnungsfähig war.
Mit seiner zweiten, wahnhaften Seite hätten die Taten aber nichts zu tun. Denn diese Krankheit beziehe sich ausschließlich auf die Religiosität und beeinflusse keine anderen Lebensbereiche. Der 33-Jährige halte sich für einen „Auserwählten Gottes“ mit „absolutem Wissen“. Wegen seines Wahns sei der Mann aber nicht gefährlich. So stehe seine „Geisteskrankheit nicht in Bezug zum Delikt, was eher selten ist“, stellte Kastner zum Abschluss ihrer Ausführungen nochmals klar.
„Mit großer Wucht auf Männer eingestochen“
Gerichtsmediziner Christian Matzenauer führte aus, dass der Angeklagte sowohl auf den Flüchtlingsbetreuer als auch auf den Altbauern „mit großer Wucht“ eingestochen habe. Von den fünf Stichen auf den 63-Jährigen war einer tödlich. Die Überlebenschance für den Landwirt sei „gleich null"gewesen.
Der Rot-Kreuz-Mitarbeiter hatte zunächst die zwei lebensbedrohlichen Messerstiche in Herz und Lunge überlebt. In einer Notoperation kam es wegen des hohen Blutverlusts zum Herzstillstand, worauf das Hirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde. Trotz Reanimation habe das Gehirn schwere Schäden davongetragen, in weiterer Folge sei es "irreversibel erloschen“, sagte Matzenauer. Der 32-Jährige wurde vier Tage nach dem Angriff am 18. Oktober für hirntot erklärt. Von vornherein habe der junge Mann aufgrund der Verletzungen nur eine „äußerst geringe Überlebenschance“ gehabt.
„Ich bereue es, es tut mir leid“
Der Angeklagte entschuldigte sich erneut für das, was er getan habe. „Ich bereue es, es tut mir leid“, wiederholte er sein Geständnis vom ersten Prozesstag. Er habe bisher in seinem Leben nicht einmal einer „Ameise etwas zuleide getan“. Die Angriffe mit dem Klappmesser am 14. Oktober „kann ich mir nicht erklären“.