Coronavirus, Namen von Infizierten, Bürgermeister
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Coronavirus

Warnung vor „Kollateralschäden“ durch Lockdown

Die Gesundheitsexperten Martin Sprenger und Joachim Gerich üben Kritik an der Regierung. Nach einer guten „Phase eins“ stört sie u.a., dass die Gesundheitsversorgung noch im Kirsenmodus laufe. Sie warnen vor „Kollateralschäden“, auch im Bildungsbereich.

Public-Health-Experte Sprenger, der in der ersten Phase der Taskforce des Gesundheitsministers angehörte, meinte am Donnerstag in einer Diskussion mit Gesundheitssoziologen Gerich und dem Rektor der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), Meinhard Lukas , man hätte die vier Wochen des Shutdowns besser nützen sollen. „Der Schaden durch Covid-19 ist klein geblieben, weil Phase eins gut gelaufen ist, weil alle brav mitgetan haben. Der Kollateralschaden soll auch klein bleiben, darum müssen wir uns jetzt kümmern“, unterstrich Sprenger.

Bildungsungleichheiten können zunehmen

„Wir sind noch bei den sekundären Folgen“, so Gesundheitssoziologe Gerich. Bildungsungleichheiten würden zunehmen, „das wird sichtbar, wenn die Kinder in die Schule zurückkommen und dann wahrnehmen, dass sie weniger Zukunftschancen haben“. Die soziale Ungleichheit werde dadurch befeuert. Um den Bereich Bildung hätte man sich seit Mitte März kümmern sollen, so Sprenger. „Die Rolle der Kinder im potenziellen Infektionsgeschehen und potenzielle Risiken, wenn die Schulen zu sind, hätte ich gern ausführlich diskutiert in Wissenschaft und Praxis.“ Die Politik habe aber eine Million Kinder und Eltern vor vollendete Tatsachen gestellt und ihre Entscheidungsgrundlagen nicht offen gelegt. „Das ist unerträglich und Österreichs nicht würdig“, so der Wissenschafter.

Sprenger: Kinderbetreuung und Schulen hochfahren

„Die Regierung muss sagen, das Risiko einer zweiten Welle ist höher, dass ich alles auf der anderen Seite in Kauf nehme“, sprach er beengte Wohnsituation und Missbrauch in der Familie an. Sprenger würde Kindergärten im Normalbetrieb öffnen und Volksschulen in einem, zwei oder drei Bundesländern, um zu sehen, wie sich das auswirke.

Spitäler und Ordinationen zu lange im Krisenmodus

Im Gesundheitswesen sei Anfang April der Zeitpunkt gewesen „das Regelgeschehen auf Grün zu schalten“. Denn da sei das Infektgeschehen gedrückt gewesen. „Man hätte die Regelversorgung nie aus den Augen lassen dürfen“, nahm Sprenger die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die Länder in die Pflicht, denen ein Monitoring der chronisch Kranken möglich sei. Es habe an Leadership gefehlt. Am 12. März sei klar gewesen, dass man das pandemische Geschehen abwenden könne, „am 20. März war klar, dass nix passieren kann“, spätestens dann hätte man Botschaften wie „gehen Sie nicht ins Spital, nicht zum Arzt“ zurücknehmen und bei akuten Problemen zum Arztbesuch raten sollen, so der Experte.

Folgen für die Gesundheit durch verschobene OPs

Die sekundären und tertiären Folgen seien für die Gesundheit stärker als die unmittelbaren durch Covid-19, so Gerich, und das sei nicht nur seine Meinung. Bei rund 50 Prozent der geplanten Eingriffe führe die Verschiebung zu Problemen, je länger etwas aufgeschoben werde, desto länger dauere dann der Spitalsaufenthalt. Der zweite Effekt sei jener der aufgeschobenen Inanspruchnahme durch die Patienten selbst, wie etwa weniger Herzinfarkte in klinischer Behandlung zeigen würden. Wenn es bis zur ersten Behandlung länger dauere, seien aber die Auswirkungen schlimmer, habe eine Untersuchung an Herzkreislauf-Patienten in Hongkong gezeigt.

Die Rolle der Wissenschaft sah Gerich kritisch, denn es seien viele Papers mit dünner Substanz publiziert worden. Sprenger meinte, er lechze nach Publikationen aus Österreich. Forschung und Beobachtung des Krisengeschehens seien notwendig, waren sich beide einig.