Swing und Blues aus dem Rechner

Die electronic vibrations des Parov Stelar: Marcus Füreder aus Lichtenberg gelang mit seiner elektronischen Retro-Musik der Durchbruch. Wie sein unverwechselbarer Sound entstand, darum geht es in der „Lust aufs Leben“ Sendung am Sonntag.

Sendungshinweis

„Lust aufs Leben“, Sonntag 18.2.18, 21.03 Uhr.

Ein Gespenst geht um und es hatte kein Gesicht. Es wummerte und zischte, spuckte Rauch und warf Blitze und die Leute gaben sich ihm nächtelang hin. Halbnackte Kids zucken ekstatisch im Stroboskoplicht, schmerzhafter Lärm dringt aus mannshohen Boxen. Eine Geräuschwelle wie von Presslufthammern, Gewehrsalven und Hubschraubermotoren im Sturzflug. Das Phänomen hat einen Namen: Techno. Techno tauchte Mitte der 80er-Jahre überall auf: auf der Züricher Bahnhofstraße, auf dem Berliner Ku’damm, am Brandenburger Tor und an der Siegessäule, auf der Wiener Ringstraße. Techno in der Hamburger Katharinenkirche und im Schauspielhaus, auf dem Mittelmeerkreuzer, im Orientexpreß. Techno auf der Biennale, bei den Vereinten Nationen und auf dem Katholikentag. Techno im Wahlkampf und in Talkshows, Techno im Internet.

Parov Stelar

APA / Georg Hochmuth

Parov Stelar verbindet elektronische Musik mit Live Band

Techno ist die Abkürzung von Technologie und bezeichnet nicht nur eine bestimmte Neuentwicklung der Popmusik sondern auch eine neue Jugend- und Popkultur. Als musikalischer Terminus steht Techno für elektronische und gesampelte Musik. Die Gruppe „Kraftwerk“, die als erste Popband elektronische Musik produzierte, wird gemeinhin als Vorgängerin bezeichnet.

Die Disco-Musik in den 60er-Jahren war die erste urbane Tanzkultur, die sich nicht über Live-Musik bildete, sondern den Discjockey zum Helden kürte. Disco wird – so der „Godfather of Soul“ James Brown – eine massenhaft produzierte Maschinenmusik und damit der historische Vorläufer von Techno. Dem folgten zahlreiche Derivate und Subformen.

Das Spiel des Parov Stelar

Marcus Füreder aus Lichtenberg steht über allen, seine Bühne auf der Bühne ist ein Podest, er ist der Höchste von allen. Sein Gesicht ist oft verborgen hinter dichtem Qualm, er raucht dann und wann E-Zigarette. Er hat zwei Computer vor sich und die Band. Saxophon, Trompete, Gitarre, Bass, auch der Schlagzeuger hat ein Podest, ein kleineres. Auf einer riesigen Videowall laufen passend zur Musik Illustrationen, die Musiker bringen währenddessen das Publikum zum Tanzen, Springen und Mitsingen. Die Frontsängerin in Glitzerrock reißt die Hände in die Höhe, tanzt lasziv mal den Saxophonisten, mal den Bassisten an, wirkt wie eine Animateurin vor einem Swimming Pool. Die Band trägt Anzughosen, Schirmmützen, Hosenträger. Füreder zeigt vom DJ-Pult aus die Einsätze an, er zieht an den Fäden, lässt die Musiker für sich tanzen, die das zuckende Publikum antreiben. Und das geht willig mit bei dem Sound, den Füreder kreiert hat, melodisch und tanzbar, gefällig und einzigartig, nostalgisch und den Zeitgeist treffend. Mit seinem bürgerlichen Namen Marcus Füreder würde er nicht weitkommen, darum hat er sich den eingängigeren Markennamen Parov Stelar verpasst. Im Spiel der Musiker ist der Spirit des Jazz und Blues lebendig und spürbar und wird, kombiniert mit Elementen aus Techno, Dance und House, zu einer kraftvollen und frischen Melange – man spricht vom Electroswing, einer extrem tanzbodentauglichen Neuerfindung des alten Jazz der 1920er- und 1930er-Jahre.

Musiker Parov Stelar

APA/Georg Hochmuth

Marcus Füreder aus Lichtenberg

Retro ist in, egal ob in der Mode oder in der Musik. Die goldenen Jahre der Zwischenkriegszeit feiern ein Comeback, Tanzcafés kommen wieder in Mode und Kostümparties mit Feder-Boas und Charleston-Outfit sind nicht nur in Berlin und Paris zum Renner geworden. Der Erwerb von Vinyl-Schallplatten ist wieder im Trend, viele finden das Hörerlebnis auf einer analogen Single oder Langspielplatte viel wärmer und authentischer. Marcus Füreder ist nicht der leidenschaftliche Sammler von alten Jazz- und Swingplatten, er ist ein Kind der Zeit und greift lieber auf digitale Sounds zurück. Statt aber banale DJ-Sets mit dem üblichen technischen Equipment samt Lichtshow zu spielen, erfreut Stelar das Publikum seit 2005 lieber mit seiner meist fünfköpfigen Live-Band.

Marcus Füreder spielt eigentlich gar kein Instrument. „Ja, ich kann nicht einmal Noten lesen, habe nie ein Instrument gespielt – ein Didgeridoo habe ich mal geblasen, aber sonst war da nichts“ – soll er einmal gesagt haben. Füreder wird am 27. November 1974 in Linz geboren. Erste musikalische Gehversuche macht er im Rahmen des Musikunterrichtes in der Honauerstraße im Borg Linz. Danach studiert er an der Linzer Kunstuni das Fach „Angewandtes Design“. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, hätte der Sohn Tennisspieler werden sollen. Der interessiert sich aber für Musik und wird in Linz vom alten Café Landgraf, der KAPU und der Stadtwerkstatt sozialisiert, damals die Veranstaltungsorte für alternative Jugendkultur in Oberösterreich, Füreder taucht in die Welt der Ravers und der Mods. Er schlägt sich als Kunststudent, Grafikdesigner und DJ in der bunten Szene durch und veröffentlicht unter seinem bürgerlichen Namen und dem Pseudonym „Plasma“ erste Titel. Das Label „Bushido Recordings“ bringt Füreders erste Maxi-LPs im Jahre 2001 und 2002 heraus.

Parov Stelar

APA/o.K.

20 Personen stehen hinter Parov Stelar

2003 beschließt Marcus Füreder lieber sein eigener Chef zu sein und gründet aus der Not heraus das Label „Etage Noir Recordings“ mit Firmensitz in der 2000-Einwohner-Marktgemeinde Altenfelden in Oberösterreich, in einem alten Bauernhof wird sein Studio eingerichtet. Er legt sich seinen jetzigen Künstlernamen zu, der ihm hilft, etwas bekannter zu werden.

Schlag auf Schlag zum Durchbruch

2004 verschafft sich Parov Stelar mit der Extended Play „KissKiss“, einem Tonträger zwischen Single und LP, und dem folgenden Album „Rough Cuts“ deutlich mehr Gehör, der breiten Masse bleibt der Linzer aber weitgehend unbekannt. Der österreichische Jugendsender FM4 präsentiert die Titel zuerst in der Spezialsendung „High Spirits“, einem Programm über Dance- und House-Music, bald landen sie vom Nachtprogramm in die tägliche Rotation. Der Vertrieb der Tonträger erfolgt wie auch bei den folgenden Alben von „Soulseduction“, einer Wiener Vertriebsfirma, die es in der Zwischenzeit nicht mehr gibt. Sie trägt wesentlich neben FM4 zum Erfolg des Debütalbums bei. Die internationale Presse wird aufmerksam und reagiert durchaus positiv wie zum Beispiel die „Frankfurter Rundschau“, die das Konzept Parov Stelars „Jazztraditionen in sanft gebrochene Rhythmik zu sampeln“ lobt.

Nachdem FM4 den Newcomer ins öffentliche Licht rückte, ging alles Schlag auf Schlag. Remix- und Werbeaufträge begannen einzutrudeln, durch das Internet sowie von seiner Musik unterlegte Werbespots erreicht Parov Stelar internationale Bekanntheit. Mit der Anerkennung in Österreich hat es etwas länger gedauert.

„Eine großartige Audiohochzeit“

2005 folgt das Album „Seven and storm“, zwei Jahre später „Shine“ und 2009 das Doppelalbum „Coco“. Hier gelingt es, die perfekt gecutteten Swing-Sample-Studien mit den Dance-Tracks zusammenzuführen. Stelar selbst dazu: „Eine logische Zusammenführung. Sozusagen mein persönlicher Mauerfall. Meine beiden Charaktere sind nun endlich reif genug, um gemeinsam zu tanzen. Eine großartige Audiohochzeit, dieses alte kratzige Ding mit diesen neuen synthetischen Beats zu verbinden!“

Parov Stelar

APA/Hans Punz

2012 gelang der endgültige Durchbruch

Ab November 2005 geht Parov Stelar zum ersten Mal mit Live-Band auf Tournee. Sie besteht aus verschiedenen Besetzungen mit vier bis zu acht Musikern und einer Sängerin, die Konstellation der Band ist durchaus variabel.

Auftritte bei diversen Festivals und bei Freiluftkonzerten bringen die Parov Stelar Band nach Paris, London, New York, Moskau, Athen, Istanbul und Mexiko City. Gerade in Osteuropa und Griechenland wird Parov Stelar als Popstar angehimmelt. Vielleicht liegt es an seinem Namen, der an Agentenfilme aus der Zeit des Eisernen Vorhangs erinnern soll. Immer wieder gehen Mails auf Russisch, Rumänisch oder Bulgarisch an ihn. Man hält ihn für einen Landsmann. Dennoch: Top-Platzierungen in den internationalen Download-Charts sind ihm in der ganzen Welt sicher. Marcus Füreder bleibt trotz des Erfolges am Boden und das macht ihn sympathisch.

Das Doppelalbum „The Princess“, das 2012 erscheint, bringt den endgültigen Durchbruch. Es wartet mit ruhigen, melancholischen Tönen zu Klavier-, Trompeten- und Streichklängen auf.

Parov Stelar auf der Bühne

ORF

Stelar-Konzert in Traun 2015

Langfristiger Erfolg mit Alleinstellungsmerkmal

„Bruckner lebt“, so der Titel der Linzer Klangwolke 2013, damit soll der Geist von Anton Bruckner zu neuem Leben erweckt werden. Markus Füreder hat die Musik dafür komponiert und ihm eine neue Note verpasst, sozusagen „Anton reloaded“. Mehr als 110.000 Besucher waren im Donaupark versammelt, der damals 39-jährige Parov Stelar hat mit Bruckner gemacht, was er sonst mit alten Jazz-Platten macht: Teile aus den Aufnahmen gesampelt und neu wieder zusammengesetzt. Da in der Klassik das Tempo innerhalb eines Stückes durchaus stark variiert, war es für ihn nicht leicht, die geraden, programmierten Computer-Beats mit der durch und durch organischen Klassik zusammenzubringen. Den Leuten hat’s gefallen.

Parov Stelar gibt auch die Kehrseite des Erfolges zu. An seinem Gesamtprojekt, das der Mastermind solo begonnen hat, hängt die Existenz von inzwischen zwanzig Menschen. Mehr und mehr musste er sich auch in die betriebswirtschaftliche Materie einarbeiten.

Parov Stelar hat es geschafft, sich mit seiner Mixtur und gutem Timing an die Spitze des Electroswing-Trends zu katapultieren. Er weiß, dass das nicht auf Dauer sein kann und experimentiert mit Beharrlichkeit weiter. Er sorgt dafür, dass Parov Stelar sich nicht am eigenen Konzept abnützt. Letztlich geht es ihm um Sounds und Songarchitektur und das richtige Mischverhältnis von Samples und Rhythmus.

Hier können Sie die Sendung nachhören:

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Michael Huemer; ooe.ORF.at