Schlussbericht zu Kremsmünster: „Ständige Gefahr“

Ein erschütterndes Bild zeichnet der am Freitag präsentierte Schlussbericht zu den Missbrauchsvorwürfen im Stift Kremsmünster: Mit dem Schluss, dass für die Schüler des Stiftsgymnasiums zu allen Zeiten die Gefahr bestanden habe, Opfer sexueller und psychischer Gewalt zu werden.

Das Institut für Praxisforschung und Projektberatung IPP aus München hat zwei Jahre lang die Vorgänge hinter den Klostermauern von den 1950er-Jahren bis zum Auffliegen des Missbrauchsskandals im Jahr 2010 analysiert. Die Forscher führten dafür insgesamt 64 Interviews mit ehemaligen Schülern, Angehörigen, Patres, Stiftsangestellten, Gerichtsgutachtern und Ombudsleuten der Diözese Linz - einzig der inzwischen wegen sexueller und gewalttätiger Übergriffe rechtskräftig zu zwölf Jahren Haft verurteilte Ex-Pater hat ein Interview verweigert.

„Ort mit eigenständigem Rechtssystem“

Die Studienautoren beschrieben das Internat im Stift Kremsmünster als einen Ort mit einem eigenständigen Rechtssystem und mit einem institutionellen Narzissmus. Wichtig sei es gewesen, das positive Bild des Klosterns nach innen und außen zu schützen, die eigenen Probleme zu vertuschen und Beschwerden diskret versanden zu lassen.

Ermöglicht worden seien die Taten durch das Zusammenspiel vielfältiger Faktoren. Einerseits durch ein jahrhundertealtes eigenständiges Handlungssystem einer kirchlichen Einrichtung, durch die strengen Hierarchien, durch einen Mangel an Kommunikation der Klosterangehörigen untereinander, das Vertrauen der Eltern und durch eine, wie es heißt „überraschend“ pädagogische Qualifikation der Lehrer und Erzieher im Internat.

„Taten wurden isolierten Einzeltätern zugeordnet“

Dem Stift falle es schwer, sich bewusst zu machen, dass die Übergriffe dort System hatten, so die Studie. Die unbestreitbaren Taten wurden und werden - scheinbar isolierten - Einzeltätern zugeordnet. Damit werde eine wichtige Chance zur Aufarbeitung bislang zu wenig genutzt, heißt es in der Studie. Warum die Misshandlungen über so viele Jahre oder gar Jahrzehnte nicht an die Öffentlichkeit kamen, ist für die Wissenschaftler klar.

„Ringe des Schweigens“

Über die Taten hätten sich mehrere „Ringe des Schweigens“ gelegt, viele Opfer seien sprachlos gewesen angesichts der unfassbaren Taten. Sie hätten große Scham empfunden und Angst gehabt, ausgegrenzt zu werden. Und viele Schüler hätten es nicht übers Herz gebracht, ihre Eltern damit zu belasten.

Und auch bei den Eltern wurde eine gewisse Lähmung festgestellt: Bei diesen hätten vor allem das Konstrukt „heile Familienwelt“ gewirkt, heißt es. Es war für viele Eltern unvorstellbar, dass Hände die segnen, auch schlagen. Bei den Patres wiederum hätte vor allem die Tabuisierung von Sexualität und Gewalt eine Rolle gespielt. Ebenso der Glaube an die Hierarchie. Der Kreis der Wissenden wurde stets klein gehalten. Die meisten Patres waren ahnungslos.

Schüler: „Internat war Disziplinarregime“

Das Internat wird von vielen ehemaligen Schülern als „Disziplinarregime“ beschrieben. Es sei wie in einer Kaserne gewesen. Von Prügelstrafen ist die Rede, von Klassenstrafen durch Mitschüler, von einem Überlebenskampf, von einer Überforderung der Patres. Die meisten sind selbst als Schüler durch das Ordnungs- und Kontrollgefüge des Stiftsinternats geprägt worden und haben es in ihren neuen Rollen fortgeschrieben.

Lehrer förderten die Gewalt unter den Schülern, sie forderten zu Klassenstrafen auf, ältere Schüler konnten Erziehungsmaßnahmen exekutieren, die den Vorstellungen ihrer Auftraggeber entsprachen. Eine sexuelle Gewaltausübung lässt sich über den gesamten Untersuchungszeitraum von mehreren Tätern nachweisen, so dass man davon ausgehen könne, dass auch die sexuelle Gewalt über Generationen innerhalb des Stifts weitergegeben wurde. Ehemalige Schüler sprechen von einem klaren Opfermuster. Die Patres haben sich die Schwachen ausgesucht, die nicht mit dem Rückhalt der Eltern rechnen konnten.

„Schwache gerieten in System der Gewalt“

Kremsmünster sei schön gewesen für die Starken - doch wer schwach gewesen sei, der sei entfernt worden oder geriet in ein System der Gewalt geraten, aus dem es kein Entkommen gab, in dem ein Kind furchtbar allein gewesen sei, so die Studie. Die Missbrauchshandlungen selbst haben den Bericht zufolge nicht nur die Lieblinge der Erzieher betroffen und nicht nur in den privaten Räumen der Erzieher stattgefunden - auch auf Freizeitfahrten, Studienreisen, im Auto, in der Sporthalle oder im Schlafsaal der Heranwachsenden.

Verharmlosungen, Rechtfertigungen, Verneinungen

Bei vielen ehemaligen Präfekten scheine ein wirklich tief empfundenes Mitgefühl für die Opfer zu fehlen. Ebenso vermittelten die Patres den Eindruck sich nur unzureichend mit den Anschuldigungen auseinander setzen zu wollen. Anhand der Interviews zeige sich die deutliche Abwehr der eigenen Verantwortung und der zugrunde liegenden Schuld. Das manifestiere sich in Form von Verharmlosungen, Rechtfertigungen, Verneinungen und Wahrnehmungsverzerrungen.

Empfehlungen an das Kloster

Die Studie schließt mit Empfehlungen an das Kloster: Nötig sei zum einen ein gelebtes Präventionskonzept mit Verhaltenskodex, konkreten Ansprechpartnern und klaren Verfahrensrichtlinien, wie mit Vermutungen und Verdachtsfällen umgegangen werden soll. Zudem müsse festgelegt werden, wie das Thema Prävention künftig in den Unterricht eingebaut wird. Zum anderen empfehlen die Wissenschaftler, die Hierarchie durch die Förderung von Teamstrukturen aufzuweichen und eine Kultur des Miteianders, der Beteiligung und Angstfreiheit zu etablieren. Weiters sollten sich die Patres für eine glaubwürdige Verständigung zwischen Kloster und Opfern einsetzen.

Ursprünglich Ermittlungen in 39 Fällen

Ursprünglich gab es Ermittlungen in 39 Fällen. Einige Verfahren wurden eingestellt, weil die Vorfälle verjährt oder die Beweise zu dünn waren. Übrig blieben 24 Opfer und ein Täter, der mittlerweile im Gefängnis Stein sitzt. Der 81-jährige Ex-Pater und ehemalige Konviktsdirektor wurde rechtskräftig zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil war Ende Jänner vom Oberlandesgericht Linz bestätigt worden.

Der Ex-Pater hat in den Jahren 1967 bis 1996 sexuelle und gewalttätige Übergriffe auf Schüler im Alter zwischen 11 und 13 Jahren verübt. Teils ging er mit einer Ochsenpeitsche, Tritten oder Watschen auf die Zöglinge los. Zudem drohte der Beschuldigte mehrmals, er werde seine Pumpgun holen, die er bis 2010 illegal besessen hatte.

Der Großteil der Fälle stammt aus der Zeit zwischen 1967 und 1996. Die Fälle aus den 1950er Jahren werden drei bereits verstorbenen Patres angelastet. Das Stift hat seit Bekanntwerden der Fälle mehr als 700.000 Euro an Betroffene/Opfer bezahlt.

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