Berliner Mauer 1989

Zeitenwende an der Berliner Mauer

Die Sendungen „Treffpunkt Zeitgeschichte“ an den Sonntagen, 10. und 17. November befassen sich mit dem Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren. Zu hören sind die Sendungen jeweils ab 21.04 Uhr.

Es lag etwas in der Luft, dass etwas passiert, spürte man. Dass 1989 das letzte Jahre der Deutschen Demokratischen Republik werden würde, war aber unvorstellbar. Zunehmende Spannungen waren zwar mit Händen zu greifen, die Partei- und Staatsführung der DDR war ungewöhnlich kleinlaut.

155 Kilometer langes Grenzsicherungssystem

Im Sommer belief sich das Grenzsicherungssystem „Rings um Berlin (West)“ auf 155 Kilometer, davon waren 106 Kilometer Betonplattenwände mit aufmontiertem Rohr und 67 Kilometer Metallgitterzäune. Ferner umfassten die Grenzanlagen 302 Beobachtungstürme, 20 Bunker und 259 Hundelaufanlagen. Der Schießbefehl erlaubte es den DDR-Grenzsoldaten, zur Unterbindung von Fluchtversuchen von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

randenburger Tor mit Berliner Mauer 1961
Brandenburger Tor mit Berliner Mauer, 1961

Vom 13. August 1961, dem Tag, an dem an den Sektorengrenzen zwischen Ost- und West-Berlin provisorische Absperrungen errichtet und in den Verbindungsstraßen zu West-Berlin das Pflaster herausgerissen wurde, von diesem Sonntag an bis zum 9. November 1989 gab es an der innerdeutschen Grenze insgesamt 265 und davon an der Berliner Mauer weit über 100 Todesopfer in Zusammenhang mit Fluchtversuchen. Die Zahl der geglückten Fluchtversuche betrug 5075, davon waren 574 Personen Angehörige bewaffneter Verbände. Das Volk lief seiner Regierung davon, über Grenzen hinweg, die als eisern galten, als strikt und absolut garantiert.

Zwang zur Veränderung kam von außen

„Die Mauer … wird in fünfzig und auch in hundert Jahren noch bestehen bleiben“, erklärt Erich Honecker noch Ende Januar 1989. Den meisten Zeitgenossen erscheint die DDR zu dieser Zeit stabil, obwohl das aufziehende wirtschaftliche Desaster am Zustand der Industrieanlagen, der Bausubstanz der Altstädte, der Straßen sowie am Seelenzustand der Bevölkerung nicht zu übersehen ist. Der Zwang zu Veränderungen im Arbeiter- und Bauernstaat kommt von außen. Die UdSSR, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken steckte in einer ökonomischen und politischen Krise. Sie war unfähig, im Rüstungswettlauf mit den kapitalistischen Staaten mitzuhalten. Militärpolitisch standen sich die von den Vereinigten Staaten dominierte NATO und den auf sowjetische Initiative gegründeten „Warschauer Pakt“, den wir auch als „Ostblock“ bezeichnen, gegenüber.

Sendungshinweis

„Schwerpunkt Zeitgeschichte“, 10.11.19 und 17.11.19

In dieser Allianz versammelten sich die DDR, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Zeitweise zählte man die sozialistischen Bruderländer Albanien und Jugoslawien dazu. Zu verschiedenen Zeiten zählte man vier asiatische Länder, die Mongolei, China, Nordvietnam und Nordkorea, zum Einflussbereich der Sowjets, mit Kuba sogar eine lateinamerikanische Republik. Es war nicht zu vermeiden, dass nicht mehr alle der Marxismus-Leninismus-Ideologie anhangen. Fast zyklisch, jedes zwölfte Jahr versuchten einzelne Länder, aus der Zwangsvereinigung auszubrechen. 1956 war es der ungarische Volksaufstand, 1968 der sogenannte „Prager Frühling“ und 1980 die polnische Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“, die aus einer Streikbewegung entstand. Von diesen Brechungen und Entwicklungen lässt sich auch eine Protestbewegung inspirieren, die vom 3. auf den 4. Juni 1989 am Tian’anmen-Platz in Peking vom chinesischen Militär brutal niedergeschlagen wird.

Berliner Mauer, 1988
Berliner Mauer, 1988

„Biologische Erschöpfung“ der Machthaber in UdSSR

Neben dem wirtschaftlichen und militärischen Kollaps kam es in der UdSSR zur „biologischen Erschöpfung“ der Machthaber. Zwischen 1982 und 1985 verstarben drei kommunistische Staats- und Parteichefs: Leonid Breschnew, Juri Andropow und Konstantin Tschernenko. Im März 1985 wird der 54-jährige Michail Gorbatschow zum Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, gewählt. Seine Reformprogramme „Perestroika“ und „Glasnost“, „Umgestaltung“ und „Offenheit“ beschreiben die Zielrichtung. Er reagiert damit auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme sowie die Unzufriedenheit der Menschen. Andere kommunistisch regierte Staaten in Osteuropa folgen dem Vorbild der UdSSR. Das DDR-Regime samt SED, der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ lehnt Reformen ab und hält starr an seinem Kurs fest. Nicht nur das, das Ergebnis der Kommunalwahlen im Mai 1989 wird manipuliert. Dieser Wahlbetrug wird von den Oppositionsgruppen aufgedeckt und publik gemacht. Erst als zehntausende DDR-Bürger über Budapest und Prag in den Westen geflüchtet waren, dachte das Regime über Reformen nach. Erich Honecker wird als Generalsekretär vom Politbüro gestürzt, an seine Stelle rückt dessen politischer Ziehsohn Egon Krenz. Er spricht zwar von Dialog und kündigt eine „Wende“ an, doch die Proteste und Kundgebungen, die anschwellenden Massenproteste, allen voran die Montagsdemonstrationen in Leipzig, breiten sich in der ganzen DDR aus.

Berliner Mauer 1989
Berliner Mauer, 1989

Das Volk überrollt die politische Führung

Vom 9. auf den 10. November 1989 passiert es. Das Volk überrollt die politische Führung, sie implodiert unter dem Druck der Demonstrationen und der Flüchtenden. Ost- und West-Berliner besetzen die Berliner Mauer. Es kommt zu einem Ereignis, dass die Weltöffentlichkeit den Atem anhalten lässt und vorher als unmöglich galt. Eine DDR ohne Mauer und Stacheldraht, die ihre Bürger frei reisen ließ, hatte keine Existenzberechtigung mehr. Der Warschauer Pakt unter der Führung von Reformer Michail Gorbatschow verzichtet auf den Einsatz von Gewalt. Die Freiheitsbewegung wird nicht mehr brutal niedergeschlagen wie 1953 das erste Mal in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei oder die erwähnte „chinesische Lösung“ am Platz des Himmlischen Friedens.

Sendung am 10. 11. 2019:

Teil 1: 9. November 1989 – Der antifaschistische Schutzwall bröckelt

Hier die Sendung vom 10. November zum Nachhören:

Sendung am 17. 11. 2019

Teil 2: 10. November 1989 – Auf der Mauer wird getanzt

Hier die Sendung vom 17. November zum Nachhören:

Michael Huemer; ooe.ORF.at