Carlos Santana, 2016
APA/dpa/Christoph Schmidt
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„Lust aufs Leben“: Bossa Nova meets Latin Rock

Zwei Legenden der Gitarrenmusik stehen im Mittelpunkt der Sendung „Lust aufs Leben“ am Sonntag, 3.11. ab 21.03 Uhr: Joao Gilberto und Carlos Santana.

Beide haben es mit ihrem Gitarrenspiel zu Weltruhm gebracht, der Eine auf der akustischen, der Andere auf der elektrischen Gitarre. Der Ältere der beiden Musiker ist in Brasilien geboren, der Jüngere in Mexiko.

Beide Musiker aus ärmlichsten Verhältnissen

Gemeint sind Joao Gilberto und Carlos Santana. So grundverschieden die beiden musikalisch sind, sie haben eines gemeinsam: Sie sind in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen und hatten einen steinigen Karrierestart in den örtlichen Musikbars, Nachtclubs und Stripteaselokalen ihrer Geburtsstädte Juazeiro im brasilianischen Bundesstaat Bahia und Autlan de Navarro im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Joao Gilberto ist im Alter von 88 Jahren in Rio de Janeiro heuer im Juli verstorben, Carlos Santana hat mit 72 Jahren im Juli eine neue Produktion auf CD mit dem Titel „Africa speaks" veröffentlicht.

Joao Gilberto
Joao Gilberto, 2006

Joao Gilberto do Prado Pereira de Oliveira

Joao Gilberto ist eigentlich nur der Vorname von Joao Gilberto do Prado Pereira de Oliveira, so sein ganzer Name. Er fällt bereits als Jugendlicher durch extreme Musikalität auf. 1950 macht er sich 19-jährig auf nach Rio de Janeiro. Er versucht sich in einer Gesangsgruppe, nimmt Werbespots auf, seine schon damals notorische Unzuverlässigkeit verhindert jedoch eine Karriere. Gelegenheitsarbeiten und Marihuana tun ihr übriges. Ohne Geld und feste Adresse schlägt er sich durchs Nachtleben von Rio, um sich dann gänzlich zurückzuziehen. Er quartiert sich bei seiner Schwester in der Kleinstadt Diamantina im Bundesstaat Minas Gerais ein. Dort übt er stundenlang im Badezimmer wegen der seiner Meinung nach guten und intimen Akustik wie besessen Gitarre und das Singen.

Gesang bis an die Grenze zur Unhörbarkeit

Nach Monaten findet er zu einer ganz neuen Stimme. Gilberto singt leise und zart bis an die Grenze zur Unhörbarkeit. Er entwickelt einen Gesangsstil zwischen Flüstern und sanfter Intonation, so als ob er dem Hörer ein sehr persönliches Geheimnis zuflüstern würde. Nicht nur Gilbertos Art zu singen ist neu, auch die Art, die Gitarre zu spielen. Sein stark synkopierter Stil, in dem er die Saiten der akustischen Gitarre zupft, hat einen Rhythmus zur Folge, der einer im Tempo gedrosselten Samba ähnelt. Statt perkussiver Elemente betont der Gitarrist den harmonischen, melodischen Anteil. Sowas konnte vorher keiner. Strotzend vor Selbstbewusstsein kehrt Gilberto 1957 nach Rio zurück. Dort arbeitet er mit dem Komponisten Antonio Carlos Jobim und dem Texter Vinicius de Moraes zusammen. 1959 nimmt er seine erste Langspielplatte in den Odeon-Studios auf, mit der ihm der Durchbruch in Brasilien gelingt. „Chega de Saudade" – „Schluss mit der Sehnsucht", so der Titel, der Bossa Nova wird den Sound einer ganzen Epoche prägen.

Carlos Santana, 2016
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Carlos Santana, 2016 in Wien

Mischung aus Jazz, Blues und Rock’n’Roll

Carlos Augusto Santana Alves war beim Erscheinen dieses Albums erst zwölf Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie in bitterer Armut in Tijuana, einer Grenzstadt in Mexiko zu Kalifornien. Der Junge war eines von sieben Kindern, der Vater Jose war Mariachispieler, der ihm das Geigenspielen beibringt. Carlos wechselt mit dem Aufkommen des Rock’n’Roll zur Gitarre und tourt bereits als Teenager durch die lokalen Kneipen und Bordelle, um zahlungskräftige US-Bürger zu unterhalten. 1960 zieht die Familie nach San Francisco, weil der Vater bessere Jobaussichten als in Mexiko erwartete. Hier gründet Carlos die Santana Blues Band, deren Musik stark von Künstlern wie B.B. King, Ray Charles und Wes Montgomery geprägt ist. 1967 entsteht dann „Santana", eine Band, die vom Start weg sehr erfolgreich ist. Der Klang des Sextetts war eine Mischung aus Jazz, Blues und Rock’n’Roll, begleitet von lateinamerikanischen Rhythmen der Salsa und Samba. Später wird man diesen neuen Musikstil „Latin Rock" nennen.

Carlos Santana, 2016
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Carlos Santana, 2016 in Stuttgart

Sendungshinweis

„Lust aufs Leben“, 3.11.19

Der bahnbrechende Erfolg bescherte den Musikern einen Auftritt am legendären Woodstock Festival 1969. Dort trat die Band ohne Gage auf, nach dem Konzert werden sie von Columbia Records in Vertrag genommen. Drei hervorragende Alben erscheinen jedes Jahr von 1969 bis 1971, alle werden ein Verkaufsschlager und erreichen Gold-Status. Aus dieser Zeit „Oye como va" aus dem zweiten Album. Der Einsatz singender Gitarrenlinien, die Verwendung afrokubanischer Rhythmen samt Orgel machen wohl den Erfolg von Santana aus.

1962: Legendäres Konzert in New Yorker Carnegie Hall

1962 kommt es zu einem mittlerweile legendären Konzert in der New Yorker Carnegie Hall. Brasilianische Gitarristen sind eingeladen und treffen auf nordamerikanische Musiker des Cool Jazz. Auf berühmte Leute wie Stan Getz, Charlie Byrd, Gary Burton, die alle vom neuen Bossa-Nova-Stil begeistert sind. Der Erfolg des Konzerts hatte Plattenverträge für viele brasilianische Künstler zur Folge. Die Plattenumsätze erreichten astronomische Höhen, der Bossa Nova hat Nordamerika erobert. Der Tenorsaxophonist Stan Getz konnte dabei
den Löwenanteil an Berühmtheit einstreichen. Das Treffen mit Joao Gilberto bringt dabei ein epochales Album hervor. Das charismatisch-warme Tenorsaxophon des Amerikaners begegnet dem Gitarrengeflüster des Brasilianers. Trotzdem stiehlt eine 23-jährige Gastsängerin beiden die Show. Auf zwei Liedern singt die Ehefrau von Joao Gilberto, die deutschstämmige Brasilianerin Astrud Gilberto. Sie, die nie zuvor ein Mikrophon in der Hand hielt, gibt mit ihrem Gesang den beiden Songs den unverwechselbaren Kick. Astrud Gilberto, geborene Weinert, ist nur bei den Aufnahmen dabei, um die Sprachbarriere zum nordamerikanischen Publikum zu überwinden. Ihre ungeschulte, mit dem Instinkt des Talents gesegnete Phrasierung macht sie schlagartig zum internationalen Star. Sie singt übersetzt auf Deutsch Folgendes: „Groß und braun und jung und hübsch schlendert das Mädchen aus Ipanema vorbei" und „Wenn sie geht, ist sie wie Samba mit coolem Swing und sanftem Schwung." „The Girl from Ipanema" – „Garota de Ipanema" – dahinter steckt ein bildhübscher, braungebrannter Teenager namens Heloísa Pinto, die auf dem Weg zum Strand von Ipanema hinter einer Bar vorbeizugehen pflegte. Zwei Stammgäste, nämlich schon mehrmals erwähnter Antonio Carlos Jobim und der Texter Vinicius de Moraes machten aus ihrer Bewunderung für Pintos aufreizende Anmutigkeit ein Lied für die Unvergänglichkeit.

Carlos Santana
ORF

Neues Album von Carlos Santana

Heuer erschien ein neues Album von Carlos Santana, auf dem er seinen markanten Gitarrensound mit afrikanischen Einflüssen kombiniert. In den Shangri-La Studios in Malibu spielt er in nur zehn Tagen insgesamt 49 Stücke ein, elf davon haben es auf den Tonträger geschafft, den er „Africa speaks" nennt. Das Album ist ein wilder Ritt durch das überreiche Angebot afrikanischer Rhythmen, Melodien und Harmonien – ein bisschen Blues, ein bisschen Jazz, gelegentlich ein bisschen Jazzrock mit viel Percussion und Schlagzeug. Die hörbare Spielfreude und lange Instrumentalpassagen wecken Erinnerungen an seine musikalischen Anfänge. Die waren ja auch ursprünglich auf Afrika zurückzuführen.

Hier können Sie die Sendung nachhören:

Michael Huemer; ooe.ORF.at