„Lust aufs Leben“ mit Michael Köhlmeier

Der Vorarlberger Starautor feiert am 15. Oktober seinen 70er. Anlass für Michael Huemer, für die Radiosendung „Lust aufs Leben“ am Sonntag eine „sagenhafte Radiostunde mit einem Geschichtenerzähler“ vorzubereiten.

Mit den Worten „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle“ eröffnete Michael Köhlmeier am 4. Mai vergangenen Jahres seine Rede im Parlament zum Gedenkakt gegen Gewalt und Rassismus in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialmus. Der Vorarlberger Schriftsteller und Autor übte scharfe Kritik an der FPÖ und warf ihr Heuchelei im Umgang mit den Juden vor.

Michael Köhlmeier
Peter-Andreas Hassiepen
Michael Köhlmeier

Im April dieses Jahres wurde Köhlmeier für sein politisches Engagement geehrt und erhielt den vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes ausgelobten Ferdinand-Berger-Preis. Wie ein Jahr zuvor kritisierte er auch diesmal die Regierungspolitik. Der Preisträger nutzte die Gelegenheit im Wiener Rathaus, um seine Sicht auf die Debatte zur Bezahlung der Arbeit von Geflüchteten zu verdeutlichen. Mit einem Verweis auf eine Stelle des Romans „Wem die Stunde schlägt“ von Ernest Hemingway meinte Köhlmeier: „Nicht erst wenn die Kanonen krachen wird der Mensch entmündigt.“

Sendungshinweis:

„Lust aufs Leben – Kultur aus allen Richtungen“, 09.02.20, 21.03 Uhr

Es beginne bereits dort, wo aus politischer Absicht Menschen bewusst in die Armut getrieben würden. „Wo Missgunst geschürt wird“, so der Schriftsteller, „dort wird bereits entwürdigt, absichtlich, aus politischem Kalkül heraus“. Das sei nichts anderes als Niedertracht, wirft er der Politik vor und erinnert an die Entscheidung, Asylwerber einen maximalen Lohn von 1,50 Euro zuzugestehen. Das war alles noch vor der Ibiza-Affäre und der Nationalratswahl. Michael Köhlmeier feiert in zwei Tagen am 15. Oktober seinen 70. Geburtstag.

Michael Huemer an seinem beim Zusammenstellen der Sendung
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Michael Huemer beim Zusammenstellen der Sendung – CDs aus der Sammlung "Sagen aus Oberösterreich“

Der Protagonist dieser Sendung wurde in Hard in Vorarlberg am Bodensee geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Hohenems und Feldkirch. Die Mutter stammt aus Coburg in Deutschland. Nach dem Abschluss im humanistischen Gymnasium in Feldkirch, studierte der junge Mann von 1970 bis 1976 Germanistik und Politologie. Es zog ihn nach Marburg an der Lahn und er entgeht so dem Wehrdienst im österreichischen Bundesheer. Um Mathematik und Philosophie zu studieren, wechselt er nach Gießen und Frankfurt.

„In jeder Geschichte erzähle ich von mir“

Aus Deutschland zurück sammelt Köhlmeier im ORF Landesstudio Vorarlberg seine ersten journalistischen Erfahrungen, er wird freier Mitarbeiter und schreibt Hörspiele, Features und Dokumentationen. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner Zusammenarbeit mit Reinhold Bilgeri, sie gestalten die Kabarettsendung „Im Westen nichts Neues“. Als Duo „Ray & Mick“ blödeln sich die zwei durch Fernsehshows, sind dabei sehr erfolgreich und überrascht, dass ihnen eine quasi „geheime“ Landeshymne Vorarlbergs gelingt. „Es war ein Projekt zur Finanzierung des Studiums. Es gibt schlechtere.“ So profan umschreibt Köhlmeier die Entstehung des Liedes „Oho Vorarlberg“. Dabei holten sie sich kräftige Anleihen beim Filmschlager „Mariandl“. Die beiden wussten dabei nicht, dass das Lied von einem Kollegen zur „Showchance“ eingereicht wurde und dort gewann. Die gesamte LP „Oho Vorarlberg – ´s Volk ischt halt z’blöd“ wurde ein lokaler Erfolg.

1981 heiratet Köhlmeier seine große Liebe, die Vorarlberger Schriftstellerin Monika Helfer. Der erste große literarische Erfolg stellt sich mit dem Roman „Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf“ 1982 ein, für den er den Rauriser Literaturpreis erhält. 1985 lässt er sich als freiberuflicher Schriftsteller in Hohenems nieder. Zahlreiche Romane und Erzählungen folgen, die vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt werden. Trotzdem ist diese Zeit sehr schwer für die Familie, um nur mit Literatur über die Runden zu kommen. Der große auch finanzielle Durchbruch gelingt Köhlmeier mit der Neuerzählung der „Sagen des klassischen Altertums“.

„… hat nichts auswendig gelernt“

Der besondere Erfolg der gleichnamigen Ö1-Sendereihe besteht in der Erzählweise Köhlmeiers, die ihn zur Legende werden lässt, war doch die Periode großer Radioerzähler und Reporterpersönlichkeiten samt tausende Kilometer Magnetband längst vorbei. Der Beruf des Radioerzählers, des Welterzählers ist mit Beginn des Digitalzeitalters praktisch verschwunden. Man stelle sich das einmal vor: Der Erzähler sitzt in einem schalldichten Raum, vor sich eine Glaswand, dahinter nur ein Tontechniker, der auf die blinkenden Lichtkaskaden seiner Apparate blicken muss. Köhlmeier hat kein Blatt vor sich, von dem er etwas ablesen könnte, er hat auch nichts auswendig gelernt, vor ihm ist nur das Mikrophon, in das er spricht. Er trägt frei vor, erzählt in einem sehr ruhigen Ton, manchmal mag er stocken, im Satz die Richtung ändern, vielleicht irrtümlich etwas wiederholen oder etwas vergessen, aber Köhlmeier findet immer zu seiner Geschichte zurück.

Der Autor bei einer Lesung im Februar im ehemaligen KZ Mauthausen
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Köhlmeier bei einer Lesung im ehemaligen KZ Mauthausen im Februar 2019

Es entstehen insgesamt drei Teile der klassischen Sagen des Altertums von 1995 bis 1998 auf insgesamt 15 CDs, die auch in Buchform erscheinen und später für das Fernsehen adaptiert werden. Weitere Arbeiten seiner freien Nacherzählungen von antiken Stoffen und Bibelgeschichten werden alle zu Bestsellern. „Die Nibelungen“, „Michael Köhlmeier erzählt Shakespeare“ oder „Der Menschensohn – Die Geschichte vom Leiden Jesu“ machen ihn zum wichtigsten Erzähler europäischer Geschichte, seine intensive Auseinandersetzung mit Mythologie, Heldenepen, Sagen und Märchen haben überhaupt sein eigenes Schaffen geprägt.

Prosa, Drehbücher, Hörspiele, Lieder

Aus seiner Feder stammen mehr als dreißig Prosastücke, aber auch Drehbücher, Hörspiele und Lieder. Seine literarischen Werke wie „Abendland“, „Madalyn“, „Der Unfisch“ werden ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und ein Jahr zuvor mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk. Der Romancier wird von Publikum und Kritikern gleichermaßen gefeiert für seine Erzählungen und seine Romane. Das monumentale Jahrhundertepos „Abendland“, seine Fortsetzung und Weiterführung in „Die Abenteuer des Joel Spazierer“, der verblüffende Roman über Winston Churchill und Charlie Chaplin „Zwei Herren am Strand“ machen ihn zu einem der bedeutendsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren. Ein sprachkünstlerisch eindringlicher Beitrag zu den Themen Vertreibung, Flucht und Asyl gelang ihm mit „Das Mädchen mit dem Fingerhut“. Heuer erschien im September ein kluges Buch über die Sprengkraft eines kleinen Wortes – über das Wir, das ausgrenzt, und das Wir, das uns alle einschließen kann. „Wenn ich wir sage“ – so der Titel – ist ein Plädoyer für eine offene Gemeinschaft.

In der Sendung werden „Sagen aus Oberösterreich“ zu hören sein. Köhlmeier spricht die Dialoge wie ein Schauspieler und doch so, wie kein Schauspieler sie sprechen würde. Manchmal taucht der Alemanne in ihm auf, manchmal verspricht, verbessert oder wiederholt er sich, doch genau das macht einen aus, dem das Erzählen quasi in die Wiege gelegt wurde. Zitat Köhlmeier: „In jeder Geschichte, die ich erzähle, erzähle ich von mir.“

Übrigens: Köhlmeier bekam für diese Rede am 4. Mai 2018 im April 2019 den vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) ausgelobten Ferdinand-Berger-Preis. Der Preis wird von den Nachkommen des im Jahr 2004 verstorbenen österreichischen Widerstandskämpfers und ehemaligen KZ-Häftlings Ferdinand Berger gestiftet und vom DÖW vergeben. Geehrt werden Personen, „die durch wissenschaftliche oder publizistische Leistungen oder durch besonderes öffentliches Auftreten einen markanten Beitrag gegen Neofaschismus, Rechtsextremismus, Rassismus oder demokratiegefährdendes Verhalten geleistet haben“.

Hier können Sie die Sendung nachhören!

Hinweis:
Michael Köhlmeier erzählt „Sagen aus Österreich“, Gesamtausgabe mit 9 CDs, Booklet mit kleinem Glossar zur Sagenwelt
Geco Tonwaren, 2014

Michael Huemer, ORF Oberösterreich