Tanzende Männer
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Die Troubadoure Allahs in „Lust aufs Leben“

Am letzten Sonntag im August macht sich Michael Huemer auf eine Reise in Staaten, die dem arabischen Kulturkreis zugeordnet werden. Eine Stunde der musikalischen Begegnung soll es sein, um etwas von der Schönheit, Weisheit und Poesie orientalischer und islamischer Musik zu vermitteln.

Die Demokratische Arabische Republik Sahara, Tunesien, Marokko, Senegal, Mali, Gambia, Eritrea, Ägypten wurden musikalisch porträtiert. Am Sonntag kommt es zu Begegnungen mit Staaten aus dem konfliktträchtigen Nahen und Mittleren Osten wie Libanon, Armenien, Syrien, Palästina, Iran, Indien und Pakistan. Es soll damit etwas von der Schönheit, Weisheit und Poesie orientalischer und islamischer Musik vermittelt werden, die mit der Barbarei des realpolitischen Islamismus nichts zu tun hat.

Hier ein Vorgeschmack auf die Sendung:

Vereinbarkeit von Islam und Musik

Es ist gar nicht einfach, sich der arabischen Musikwelt anzunähern, ohne sich falsche Vorstellungen von ihr zu machen. Die westlichen Medien neigen nämlich dazu, die islamisch-arabische Musikkultur als eine Abfolge klagender Stimmen und Bauchtanzrhythmen darzustellen. Befasst man sich näher damit, dann trifft man auf eine große Stilvielfalt und gleich auf ein riesiges Problem: um die Frage der Vereinbarkeit von Islam und Musik. Nach der iranischen Revolution 1978 wurde es Frauen verboten, öffentlich zu musizieren. Als beispielsweise die Taliban 1996 in Afghanistan an die Macht kamen, ließen sie Musik und künstlerische Darbietungen überhaupt verbieten. Sie folgten dabei einer sehr strengen Auslegung des Koran. Doch dieser ist eigentlich nicht musikfeindlich und vom Propheten Mohammed wird gesagt, dass er ein Ohr für den schönen Klang der Musik gehabt haben soll.

Gelehrte sind bei Musik unterschiedlicher Meinung

Die großen islamischen Gelehrten sind beim Thema Musik und Islam unterschiedlicher Meinung. Einige halten Musik für verboten, andere dagegen für erlaubt, solange sie nicht islamischen Werten und Normen widerspricht. Die Gegner meinen, dass Musik im Widerspruch stehe zu den islamischen Grundprinzipien von Bescheidenheit und Sittsamkeit. Sie verlocke zu Trinkgelagen, verbotenen sexuellen Beziehungen und Prostitution. Darüber hinaus halte sie die Gläubigen von ihren religiösen Pflichten ab. Liberale Islamwissenschaftler verweisen dagegen auf mündliche Überlieferungen, in denen sich Mohammed beim Hören von Musik von den Reisestrapazen erholt haben soll.

Musiker mit Troubadoure
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Die Kontroversen um die Vereinbarkeit halten bis heute an. Im Iran durften nach der Revolution fünfzehn Jahre lang nur Kriegshymnen, traditionelle Lieder und seichte Instrumentalmusik gespielt werden. Die Religionspolizei in Saudi-Arabien unterbrach einmal eine Kindershow mit Musik von den Schlümpfen. Dennoch ist Musik in der islamischen Welt ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens, auch strenge Auslegungen können daran nichts ändern.

Sendungshinweis

„Lust aufs Leben“, 31.8.19

Rabih Abou Khalil spielt die „Oud“

Im ersten Musikstück treffen Rabih Abou Khalil aus dem Libanon, der die Oud spielt, und Gevorg Dabaghjan aus Armenien mit der Duduk, aufeinander. Wie es heißt, kamen die Armenier zu spät, als Gott den verschiedenen Völkern der Welt Land zuteilte, und Gott sprach: „Tut mir leid, aber alles, was übrigbleibt, ist dieser Steinhaufen.“ Tatsächlich besteht Armenien größtenteils aus schroffem, steinigem Land in den Gebirgsausläufern des Kaukasus. Vielleicht klingt das Nationalinstrument Nummer eins Armeniens, die Duduk, deswegen so melancholisch, weil dieses Holzblasinstrument das Schicksal des Volkes widerspiegelt. Ihr gedämpfter, klagender, näselnder Ton scheint das Gemüt des Landes und seine oftmals tragische Geschichte zum Ausdruck zu bringen. Jüdisches und Orientalisches sind gut herauszuhören.

Saiten der „Oud“ mit verschiedenen Namen

Die Oud ist seit ihrer frühen Verwendung als Begleitinstrument für die Dichtung arabischer Wandersänger Teil der arabischen Musik geworden und wird im gesamten Nahen Osten und in einem großen Teil Afrikas gespielt. Sie hatte ursprünglich vier Saiten, von denen zwei persische und zwei arabische Namen trugen. Später kam eine fünfte Saite hinzu, durch die man in der Lage war, einen Tonumfang von zwei Oktaven zu spielen. Die moderne Oud hat zehn oder zwölf Saiten, die wie bei einer zwölfsaitigen Gitarre paarweise angeordnet sind. Sie wird mit einem Plektrum gespielt. Angeblich verdankt die Oud ihren besonderen Klang dem Gesang der Vögel. Sie kam im 11. Jahrhundert über das maurische Spanien nach Europa, behielt ihre fünf bzw. sechs Saiten, erhielt jedoch einen längeren Hals und wurde auf diese Weise zur Laute, von der später die Gitarre abstammte. In zum Teil stark abgeänderten Formen nennt man sie Gimbri in Marokko , in der Türkei spricht man von der Saz, in Griechenland wird sie als Bouzouki bezeichnet, in Indien als Sitar.

Ensemble Al-Kindi aus Syrien

Der Nachbar Libanons ist die Arabische Republik Syrien. Seit dem Frühjahr 2011 herrscht Bürgerkrieg, der bislang mehr als 160.000 Todesopfer gefordert hat. An die 21 Millionen Einwohner hatte das Land, von denen mehr als drei Millionen aus dem Land geflohen sind, neun Millionen weitere sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Ende 2014 befand sich die Hälfte des Landes unter der Kontrolle der syrischen Regierungstruppen, gut ein Drittel ist von der Terrororganisation Islamischer Staat und islamischen Milizen besetzt. Der Rest wird von Rebellen und kurdischen Soldaten kontrolliert, die Situation insgesamt ist ein einziger Albtraum.

Tanzende Männer
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Ungefähr 74 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Muslime, die Alawiten machen 12 Prozent aus, etwa zehn Prozent sind Christen verschiedener Konfessionen, die Schiiten sind mit zwei Prozent eine kleine, wenig einflussreiche Minderheit. Aus der im Bürgerkrieg fast völlig zerstörten und von den Bewohnern verlassenen Stadt Aleppo kommt das Ensemble Al-Kindi. Es besteht aus einer Instrumental- und einer Gesangsfraktion. Julien Jalal Eddine Weiss, der Gründer der Gruppe spielt eine orientalische Zither, die man Kanun nennt. Während seiner tiefgehenden Studien der arabischen Musik erkannte Weiss, dass erst der Gesang die arabische Musik vollendet.

Aus Aktivist und Steinewerfer wird ein Musiker

Das Westjordland und der Gaza-Streifen werden von der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO als Staat der Palästinenser bezeichnet. International wird der Staat Palästina nur bedingt anerkannt. 97 Prozent der Gesamtbevölkerung zählt sich zu den sunnitischen Muslimen. Es gibt ein Foto von Ramzi Aburedwan, mit dem er bereits als Kind internationale Bekanntheit erlangte. Aufgewachsen in Beton-Ghettos in der Westbank, das ist die englische Bezeichnung für das Westjordanland, schleudert er Steine gegen die Soldaten der israelischen Armee, damals 1987 während der ersten Intifada. Im Flüchtlingslager Al-Amari von Ramallah wächst er auf, bis er palästinensische Musiker kennenlernt und als Jugendlicher beschließt, Musiker zu werden.

1994 geben Musiklehrer aus Frankreich ein Konzert in Jerusalem und Ramallah. Aburedwan ist einer von zwei Schülern, denen sie das Angebot machen, Geige am Konservatorium von Angers zu studieren. Aus dem Aktivisten und Steinewerfer wird ein Musiker, Ramzi Aburedwan ist heute Leiter des palästinensischen Nationalensembles für arabische Musik. Im nächsten Stück spielt er die Buzuk, einen Ableger der Bouzouki, gemeinsam mit den Kollegen an Klarinette, Akkordeon, Oud und arabischer Percussion entsteht ein sehr intensiver Dialog mit jiddischem, zigeunerischem und orientalischem Flair.

Wiederbelebung des traditionellen Instruments Tanbur

Der persische Dichter und Mystiker Dschalal Ad-Din Ar-Rumi lebte von 1207 bis 1273. Im Alter von zwölf Jahren war er gezwungen, mit seinem Vater aus Afghanistan zu fliehen, nachdem die Mongolen unter Dschingis Khan eingefallen waren. In Konya in der Südtürkei lernt er den Wanderderwisch Shams kennen, der sein geistiger Vater wird, obwohl Rumi selbst einen Lehrstuhl für sufische Mystik innehatte. Als der Derwisch auf mysteriöse Weise verschwand und der daraus entstandenen Trauer über den Verlust des Freundes entsteht ein riesiges dichterisches Schaffen von tausenden Versen in persischer Sprache. Nach dem persischen Derwisch Shams ist auch ein Ensemble benannt, das sich die Rückgewinnung von Melodien des vergangenen Jahrtausends, die Wiederbelebung des traditionellen Instruments Tanbur, die Entdeckung der Geheimnisse der persischen mystischen Musik in der Verschmelzung von Passion, Emotion und Spiritualität zum Ziel gesetzt hat.

Wüste
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In das Repertoire bezieht das Ensemble Shams und die Musikerfamilie Pournazeri neben der klassischen persischen und aktuellen iranischen auch kurdische Musik ein. Sie hören die traditionellen Instrumente wie die Streichlaute Kamancheh, die Handtrommel Tombak, die Rahmentrommel Bandir, das Hackbrett Santur und die Langhalslauten Setar und Tanbur. Musik von bedrückender Schönheit im Klang der Stimmen mit den Instrumenten.

Mit Gesang wird Trost und Liebe gespendet

Dschalal Ad-Din Ar-Rumi starb am 17. Dezember 1273 in Konya bei Sonnenuntergang. Er wurde von Christen, Juden und Moslems gemeinsam betrauert, als sie an seinem Sarg vorbeizogen. Wir ziehen weiter in den Osten. Sie wanderten 1947 nach der Teilung Indiens in den muslimisch beherrschten, neu gegründeten Staat Pakistan aus. Die erste Generation der Sabri Brüder bekam ihre musikalische Ausbildung von ihrem Vater, Ustad Inayat Sen Sabri. Sie verbreitete die Tradition des „Qawwali“ in ihrer rauen Ursprünglichkeit von Pakistan aus bis in westliche Länder. Die heutigen Sabri Brüder, Saeed, Farid, Abdul Haq, Abdulla, Mohammed Amin und Amir führen die Tradition des „Qawwali“ weiter. Sie erhalten diese wunderschöne sufistische Tradition des indischen Subkontinents, sie spenden mit ihrem Gesang Trost und Liebe.

„Qwal“ – die Äußerung eines Propheten

Ein „Qwal“ ist die Äußerung eines Propheten, „Qawwali“ wurde zum hingebungsvollen Gesang prophetischer Worte. Darin fließen persische und indische Musiktraditionen ineinander, deren Vereinigung zum „Qawwali“ dem Inder Amir Khusro Dehelvi aus dem Sufi-Orden der Chishti im 13. Jahrhundert nachgesagt wird. Die Wurzeln reichen aber bis ins 8. Jahrhundert zurück. Heute noch folgen diese Rituale in verschiedenen Dialekten und Klangsprachen von Indien, Pakistan und Bangladesch bis zum Iran und der Türkei der persisch-indischen Tradition. Das Instrumentarium ist dabei weitgehend gleich geblieben: rhythmisches Händeklatschen, einstimmiger Gesang, Tabla und Dholak als Trommelinstrumente und als melodische Ergänzung das Harmonium. Die einzelnen Gesänge sind nicht streng durchkomponiert, sondern Improvisationen, dauern annähernd dreißig Minuten und verwenden als Grundlage klassische Sufi-Texte.

Mystisch inspirierte Liebeslyrik

So facettenreich wie der populäre Sufismus, so vielfältig erscheinen die nahezu unbekannten Musikstile des Industals in Pakistan. Das Spektrum reicht von mystisch inspirierter Liebeslyrik und volkstümlichen Melodien bis zur schamanistisch beeinflussten Trancemusik und den Liedern der wandernden Derwische, Yogis und Fakire. Eines ist allen gleich: in ihrer Musik spiegeln sich Gottesliebe und Daseinsfreude. Der Indus ist mit mehr als 3200 km der längste Fluss auf dem indischen Subkontinent und der wichtigste Strom Pakistans. Er entspringt dem Himalayagebirge in Tibet, verläuft zuerst in nordwestlicher Richtung, wo er die Grenze zwischen dem Karakorum-Massiv und dem Himalaya markiert. In der Nähe von Gilgit ändert der Indus dann plötzlich seinen Lauf und schlägt die südliche Richtung ein. Dann fließt er gemächlich durch die fruchtbare Ebene des Punjab, bevor er in einem vielarmig verzweigten Delta in das Arabische Meer mündet. Wenn man von Karachi aus auf der alten Landstraße landeinwärts nach Hyderabad fährt, kommt man nach kurzer Zeit in eine steinige Wüstenlandschaft und man erreicht schließlich Thatta.

Thatta war vom 14. bis zum 17. Jahrhundert die Hauptstadt des unteren Industals. Heute ist Thatta ein verschlafenes Landstädtchen, dessen einstigen Glanz man nur noch ahnen kann. Sein Hauptanziehungspunkt ist die Freitagsmoschee mit ihren eindrucksvollen Farbkontrasten: rötliche Ziegelsteine, die die Erde versinnbildlichen, und türkisfarbene Kacheln, Symbol für den Himmel. Dort kann man oft Musiker treffen, die die „Murli“ spielen und sich deshalb Yogi nennen. Die Murli ist eine Doppelflötte, deren Rohre mit Wachs in einem getrockneten und gehärteten Kürbis befestigt werden. Geblasen wird sie mit zirkularer Atemtechnik, die ein ununterbrochenes Spiel ermöglicht. Auf dem rechten, als weiblich bezeichneten Rohr werden Borduntöne gehalten, das linke – männliche dient zum Spielen von Melodien und um die Schlangen tanzen zu lassen.

Fakir – der Sufi oder Mystiker

Fakir ist das arabische Wort für Sufi oder Mystiker. Ein Fakir ist jemand, der ein ein selbstbestimmtes Leben von Frömmigkeit, Abstinenz von materiellen Bedürfnissen und Zufriedenheit mit dem Vorhandenen führt. Zu diesen zählt Allan Fakir, einer der bekanntesten Gestalten in der Sufi-Musikszene in Sindh, eine von vier pakistanischen Provinzen. Geboren wurde er in Goth Amri, einem Dorf am Westufer des Indus. Allan Fakir ist ein vielseitiger Künstler: Geschätzt wird er wegen des ganz persönlichen Stils, in dem er Verse von Shah Abdul Latif vorträgt, geliebt wurde er auch wegen seiner komödiantischen Einlagen und seines unerschöpflichen Repertoires an Fakirliedern. 2000 ist er 68-jährig gestorben.

„Weder esse noch trinke ich, weder lebe noch sterbe ich. Ich bin weder Frau noch Mann, weder kämpferisch noch demütig. Weder König noch Bettler bin ich. Ich bin weder vergessen noch grenzenlos. In Arabien nennt man mich Ahmad, ich bin das vollkommene Wesen des Korans.“

„Voices of God“

Zum Abschluss gibt es eine Aufnahme aus Marrakesch aus den Ruinen des vor 400 Jahren zerstörten El Badia-Palastes. Das Stück „Voices of God“ vereint Musiker aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen, um jene höheren Wesen anzurufen, die von vielen als unser Ursprung, als Heimat, als Weisheit, Harmonie und Liebe gefühlt werden. Der am Anfang angeschlagene Ton durchwandert individuell die Kulturkreise unseres Planeten. Es beginnt der bulgarische Frauenchor Angelite, es folgt ein Obertonensemble aus Tuva, dann aus Indien die charismatische Sängerin Ramamani, die indianischen Black Lodge Singers, zwei Inuitmädchen, die Sabri Brothers und Black Umfolosi aus Zimbabwe. Nach einem langgezogenen Schrei des Frauenchores folgt kurzes Schweigen. Und als Ausdruck höchster Konzentration und spiritueller Kraft der kollektive Schrei aller Musiker.