Verschwommene Menschenmenge
ÖSAK/KU-Linz
ÖSAK/KU-Linz

Ökumenische Sommerakademie 2019

Unter dem Titel „Die gespaltene Gesellschaft“ sind am 21. und am 28. Juli jeweils ab 21.00 Uhr in der Sendung „Lust aufs Leben“ Nachbetrachtungen zur Ökumenischen Sommerakademie 2019 zu hören.

In der Silvesternacht vom 31. Dezember 1999 auf den 1. Jänner 2000 feierte man auf der ganzen Welt den Anbruch des 21. Jahrhunderts. „Das Jahr 2000 – der Mythos der Zahl“ war im Jahr 1999 der Tagungstitel der Ersten Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster. Das war der Beginn einer Tagungsreihe, an der sich seitdem jedes Jahr zu Beginn der Ferienzeit Spitzenvertreter und -vertreterinnen der christlichen Kirchen sowie Experten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft treffen, um über aktuelle Themen der Zeit zu diskutieren.

Stift Kremsmünster von oben
The best Kunstverlag

Vorträge und Diskussionen mit Publikum

An insgesamt drei Tagen werden Vorträge und Referate gehalten, an die sich dann Podiumsdiskussionen und Fragen aus dem Publikum anschließen. Das Symposium wird auf Initiative des Evangelischen Bildungswerkes Oberösterreich, der Katholischen Privat-Universität Linz, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, des Landes Oberösterreich, des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, des Stiftes Kremsmünster und der Religionsabteilungen des ORF in Fernsehen und Radio veranstaltet. Der ORF Oberösterreich ist dabei Medienpartner und hat die gesamte Veranstaltung mitgeschnitten. „Die gespaltene Gesellschaft“ war heuer der Tagungstitel der hochkarätig besetzten Gespräche und Diskussionen im Kaisersaal vom 10. bis 12. Juli in der vergangenen Woche.

Für alle Seiten tragfähiger Kompromiss

Während bisher die Staaten der Europäischen Union traditionell selbst über kontroverse Fragen so lange verhandelten, bis ein für alle Seiten tragfähiger Kompromiss gefunden war, hat man unter dem Druck der Krisen den Eindruck gewonnen, dass die Bereitschaft einzelner Staaten zugenommen hat, sich Kompromissen zu verweigern oder Mitgliedsländer mit abweichenden Positionen mit Mehrheitsbeschlüssen zu überstimmen. Man denke beispielsweise an die Verteilung von Asylbewerbern in der EU bzw. der Haushalts-Milliarden aus dem EU-Budget. Dazu kommen die heiklen Manöver um die Neuverteilung der Führungsposten, das Verhalten gegenüber Amazon, Google und anderen Mediengiganten, die Sorge über einen wachsenden Graben zwischen Ost- und Westeuropa.

Globale und lokale Tendenzen erörtern

Aber nicht nur auf globaler und europäischer Ebene sondern auch auf nationaler Ebene gibt es nicht zu übersehende Spaltungstendenzen. Der Brexit spaltet die Briten, die AfD die Deutschen, die Ibiza-Affäre die Österreicher, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen die Spanier, die Gelbwestenbewegung die Franzosen. Die Risse sind unübersehbar und unüberhörbar, die Uneinigkeit und die Folgen dieser Gegensätze sind durchaus besorgniserregend, weil unter anderem auch demokratiegefährdend. Es stehen sich unversöhnlich Willkommenskultur und Zäunebauer gegenüber, Rechtsextreme und Linksautonome, Gegner und Befürworter einer Klimaschutzabgabe.

Blick ins Publikum bei der Ökumenischen Sommerakadmie 2019
Diözese Linz/Kraml

„Wer viel besitzt, wird auch eher besorgt sein, dass ihm dieses für die Zukunft erhalten bleibt“ ist eine Aussage des Schweizer Soziologen Franz-Xaver Kaufmann. Das scheint fast paradox zu sein, „dass Menschen umso mehr Sicherheit anstreben, je gesicherter bereits die Bedingungen ihrer Existenz sind“. Diese Einstellung zeigt sich vor allem in der lohn- und gehaltsabhängigen Mittelklasse, die sich über das Einkommen definiert. Die Tendenz einer durch soziale Abstiegsentwicklungen schrumpfenden Mittelschicht macht deutlich, dass die wachsende Einkommensungleichheit im Zentrum der Gesellschaft angekommen ist.

Menschenmenge
colourbox.de

Unsere Gesellschaft spaltet sich, der Umgangston ist rauer geworden, mit der Wahrheit halten es nicht mehr alle so genau. Immer häufiger gibt es Meinungskonflikte nicht nur zwischen unterschiedlichen Lagern, sondern auch innerhalb der Familie oder im Freundeskreis. Das sachliche und respektvolle Miteinander ist brüchig geworden, obwohl ein objektiver Blick auf die wirtschaftliche Situation in Österreich durchaus ein positives Bild widerspiegelt. Eigentlich florieren die Geschäfte, die Kaufkraft steigt und die Arbeitslosenquote lag im Juni dieses Jahr geschätzt bei 6,5 Prozent und erreichte damit einen Tiefststand.

Sendungshinweis:
„Lust aufs Leben – Kultur aus allen Richtungen“, 21. und 28.7.19

Eine weitere Trennungslinie ist die zunehmende, mittlerweile unübersehbare ethnisch-kulturelle Spaltung zwischen einheimischer Bevölkerungsmehrheit und muslimischer Minderheit. Diese führt zu einer emotionalen Polarisierung der Gefühle des Einzelnen und zum galoppierenden Vertrauensverlust gegenüber Politikern und demokratischen Institutionen. Damit wachsen feindselige Mentalitäten, die sich gegen schwache Gruppen richten, die ihrerseits mit Abwehr, Distanz, Rückzug oder mit verdeckten Aggressionen reagieren. Ausgelöst von einer überheblichen westlichen Welt, vor allem von den Vereinigten Staaten unter Donald Trump, ist es nicht verwunderlich, wenn das Gefühl einer Demütigung in der arabischen Welt vorliegt, wenn Menschen aus neun islamisch geprägten Staaten bei der Einreise beweisen müssen, dass sie keine Kriminellen und keine Terroristen sind.

Gleichheit, Freiheit, Solidarität

Die Menschenrechte stellen ein System fundamentaler Werte und Regeln dar, die ein Leben entsprechend den Grundsätzen von Gleichheit, Freiheit und Solidarität ermöglichen. In einer Zeit, in der die Gesellschaft ebenso rasant wie rigoros umgebaut wird, verändern sich für die Menschen nicht nur die Lebensumstände sondern auch die Mentalitäten. Die Befunde zeigen, dass Personen allein aufgrund ihrer Herkunft, Sprache und Gruppenzugehörigkeit zu Zielen von Diskriminierungen, Herabsetzungen bis zu Hassbotschaften werden. Die klassische Form des Rassismus scheint zwar nicht zuzunehmen, dafür pochen die Menschen auf Etabliertenvorrechte der schon immer hier Lebenden.

Ampelpärchen homosexuell
ORF.at/Christian Öser

Obwohl sich die rechtliche Situation verbessert hat, wird Homosexuellen mit zunehmenden Aversionen begegnet. Es wird immer häufiger gefordert, Bettler und Obdachlose aus dem Stadtbild zu entfernen. Die Überfremdungsängste nehmen zu, man geht auf Distanz und zieht aus den Vierteln einer Stadt aus, in dem viele Ausländer wohnen. Damit kommen die Menschenrechte im täglichen Leben sowohl miteinander als auch mit anderen Interessen in Konflikt, können aber auch als Instrument der Vermeidung von Spaltungen beitragen. Auch sie werden von Regierungen auf der ganzen Welt zunehmend und systematisch in Frage gestellt.

Teil 1 – 21. Juli 2019

Ausschnitte aus den Vorträgen von Sighard Neckel, Soziologe, Paul Zulehner, Pastoraltheologe und Walter Suntinger, Menschenrechtskonsulent

Hier können Sie den 1. Teil nachhören:

Teil 2 – 28. Juli 2019

Ausschnitt aus dem Vortrag von Gerd Theißen, Theologieprofessor, sowie Kurzreferate von Josef Weidenholzer, emeritierter Universitätsprofessor, Reinhold Mitterlehner, ehemaliger Vizekanzler, Michael Chalupka, evangelischer Bischof und Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich

Hier können Sie den 2. Teil nachhören: