Immer mehr Bewegungsdefizite bei Kindern
Mehr als die Hälfte der Krankheiten, die im Erwachsenenalter auftreten, wurden im Kindes- und Jugendalter verursacht. Und zwar auch über Verhaltensweisen und Lebensstile, die schon in der Kindheit geprägt werden. Zum Beispiel: die Freude an Bewegung durch einen gemeinsamen Ausflug. Neben der Familie beeinflusst aber auch das Umfeld - wie Kindergarten oder Schule - das Verhalten im Umgang mit der eigenen Gesundheit. Und hier setzt die Haltungs- und Bewegungsberatung vom Land Oberösterreich seit über 30 Jahren an.
„Weniger motorisch normal entwickelte Kinder“
Die große Gruppe der motorisch normal entwickelten Kinder werde kleiner. Die Anzahl der Kinder, die sich mit Bewegungsabläufen schwer tun, steige, so die Experten der Haltungs- und Bewegungsberatung. Immer mehr Kinder würden mit Bewegungsdefiziten in die Volksschule kommen, so die Koordinatorin Margit Wachter. Darunter fällt zum Beispiel auch die Rolle vorwärts, also der „Purzelbaum“. Hier geht es um die Wahrnehmung, die eigene Wirbelsäule rund zu machen. "Da müssen wir viel mehr unterstützen“, so Wachter.
APA/Harald Schneider
Oft Koordinationsschwierigkeiten
Was auch auffällt, seien Schwierigkeiten in der Koordination - wie etwa beim Balancieren, beim Ballspielen oder beim Springschnurspringen. „Das sind Basisbewegungsformen, die man intensiv in der Schule noch einmal üben muss, weil es Zusammenhänge zwischen diesen Fähigkeiten und dem Lernen gibt“, so Wachter. Oder: das eigene Körpergewicht halten, wo hinaufklettern, wo drüberspringen - Bewegungsabläufe, die laut den Experten immer mehr Kindern nicht mehr so gut können wie vor 20 bis 25 Jahren. "In den vergangenen fünf bis sieben Jahren hat es noch einmal eine Verschlechterung gegeben“, so Wachter.
Was sollte also ein Volksschulkind motorisch schaffen? Hier einige Beispiele:
- einen Ball werfen und fangen
- Schnurspringen
- Rolle vorwärts
- das eigene Körpergewicht abstützen können
- auf einem Reck aufstützen können
- bei Kindern der vierten Klasse: Rumpf aufziehen („Sit up“)
Jedes vierte Kind ist zu dick
Dass Bewegungsabläufe nicht gelingen, hat in einigen Fällen auch mit Übergewicht zu tun. Jedes vierte Kind zwischen sechs und 14 Jahren ist zu dick. In den vergangenen 30 Jahren habe sich die Zahl der Mädchen und Buben mit Gewichtsproblemen verdoppelt. Für die Experten ist auch der zunehmende Bewegungsmangel der Grund.
Zwei bis drei Stunden pro Tag wären ideal für ein Kind, doch laut Studien bewege sich ein Volksschulkind durchschnittlich unter einer Stunde pro Tag. „Ich habe vor zehn Jahren immer empfohlen, ein Kind darf nur so lange Fernsehen wie es sich auch bewegt. Also bei einer Stunde Bewegung maximal eine Stunde vor dem Bildschirm. Doch die Kinder sitzen viel länger davor - wie auch eine Studie gezeigt hat: demnach verbringen bereits Kindergartenkinder ein bis zwei Stunden täglich vor dem Fernseher“, so Wachter.
Körperspannung bei Kindern lässt nach
Laut den Experten hätten sich diese Einflüsse auf die Körperspannung bei den Kindern ausgewirkt. Und zwar sowohl bei den schlanken als auch bei den übergewichtigen Buben und Mädchen. Körperspannung ist notwendig, zum Beispiel beim Stehen auf Zehenspitzen oder bei dynamischem Laufen. "Wenn die ganze Energie und das ganze Gewicht in den Boden hineingeht. Ich sage dann immer: das ist Laufen wie ein Elefant. Jetzt versuchen wir mal zu laufen wie ein Mäuschen - geräuscharm, leise“, so Wachter.
Haltungsschwächen seien aber auch schon vor über 30 Jahren bei vielen Kindern beobachtet worden. Ein Schularzt hatte sich deshalb engagiert und wurde von der Abteilung Gesundheit im Land OÖ unterstützt. Was sich aber geändert habe: dass die natürliche Begeisterung der Kinder an Bewegung weniger gefördert werde. Die Basis werde in der Kindheit gelegt, dazu zählen Ausflüge wie Wanderungen oder Radtouren mit der Familie - also die positiven Bewegungserlebnisse, die gesammelt werden und damit steige die Wahrscheinlichkeit, dass auch als Erwachsener Bewegung gemacht wird, deutlich.
„Überbehütung“ bremst die Bewegungsneugierde
Eine weitere Ursache für die Probleme bei einfachen Bewegungsabläufen sieht das Team der Haltungs- und Bewegungsberatung des Landes aber auch in einer Überbehütung der Kinder, also dass sie bei Ausflügen immer wieder auf mögliche Gefahren hingewiesen und somit in ihrer Bewegungsneugierde gebremst werden. Wichtig sei es, die Kinder die Erfahrungen sammeln zu lassen. „Das heißt, ein Kind darf einmal wo hinaufklettern, ein Kind darf einmal wo drüberspringen oder wo runterrollen.“
Es gehe darum, die Möglichkeiten für das Kind zu schaffen, dass es sich bewegen oder spielen darf. Das sei ein Grundbedürfnis. "Spielen muss man ihnen nicht lernen, das tun sie, wenn sie Raum und Platz dafür haben und wenn man sie lässt“, so Wachter. Wenn es keine Möglichkeiten im Freien gibt, dann empfehlen die Profis die eigenen vier Wände zur Übungsfläche zu erklären. Also verstecken spielen, wo runterspringen dürfen oder ein Haus mit Decken und Polstern bauen.
Land OÖ
46.000 Volksschüler werden pro Jahr beraten
Die 29 Experten der Haltungs- und Bewegungsberatung des Landes Oberösterreich betreuen 480 Volksschulen in 15 Bezirken - außer in den Statutarstädten. Das Team des Landes ermöglicht jedes Jahr über 46.000 Schülern in 2.700 Klassen Haltungs- und Bewegungseinheiten - darunter fallen auch Gesundheitsschwerpunkte wie etwa Schultaschengewicht, richtiges Sitzen, Tragen und Heben. Fünf Stunden werden jährlich mit jeder Klasse trainiert. Wobei auch die Lehrer teilnehmen, und damit werde ein Multiplikatoreffekt erzielt. Und auch die Kinder bringen den Eltern zu Hause dann was bei.