Keine Beweise für Nazi-Relikte

Es gebe keinen Beweis dafür, dass die Nazi-Stollenanlage in St. Georgen an der Gusen größer als bisher bekannt gewesen wäre, oder sich dort ein Atom- oder Raketenforschungszentrum befunden hätte. Das sagt eine Expertenkommission jetzt nach einer Untersuchung des Areals.

Alle Hinweise darauf hätten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standgehalten, so die Kommission. Dies widerspricht massiv dem, was der Linzer Filmemacher Andreas Sulzer nach seinen Recherchen für zwei Dokumentationen mit Bezug zum KZ Gusen - ein Außenlager von Mauthausen - veröffentlicht hat. Dort hielten die Nazis mindestens 71.000 Menschen aus 27 Nationen gefangen, mehr als die Hälfte kam zu Tode.

Großteil der Gänge wurde später zerstört

Sulzer veröffentlichte angebliche Beweise für die Existenz noch unbekannter Stollen des einst größten unterirdischen NS-Rüstungsprojektes „Bergkristall“. Dieser Bau einer acht Kilometer langen Anlage zur unterirdischen Flugzeugproduktion kostete mehr als 8.600 KZ-Häftlingen das Leben. Ein Großteil der Gänge wurde später zerstört oder aus Sicherheitsgründen verfüllt.

Sulzer ging weiters Gerüchten nach, dass in St. Georgen Atomversuche durchgeführt worden seien. Zuletzt war auch von Raketenabschussplätzen die Rede. Vor Weihnachten ließ er Bagger auf dem Gelände des Schützenvereines von St. Georgen auffahren, weil er dort den Eingang in ein Stollensystem vermutet. Tatsächlich wurde ein verschüttetes Bauwerk freigelegt, die Grabung ist jedoch behördlich gestoppt worden.

Grabungen Bergkristall KZ Gusen

ORF

Die Mitglieder der Expertenkommission

In der vom Leiter der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Perg Werner Kreisl in Perg einberufenen Pressekonferenz legten unter anderem die Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien, die Archäologin Claudia Theune-Vogt, sowie Professor Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte, ebenfalls Uni Wien, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor. Darüber hinaus nahmen die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück, Vertreter des Bundesdenkmalamtes, der Bundesimmobiliengesellschaft und der Umweltschutzabteilung des Landes Oberösterreich Stellung.

„Raketenabschussrampen sind Lüftungsanlagen“

Demnach seien bei Bohrungen an von Sulzer bezeichneten Stellen bis in 122 Meter Tiefe - und damit unter den Grundwasserspiegel - keine Hohlräume entdeckt worden. Auch die Umweltdaten hätten keinerlei Hinweise auf angebliche nukleartechnische Tätigkeiten ergeben. Die angeblichen Raketenabschussrampen seien in Wahrheit Lüftungsanlagen von „Bergkristall“. Die vom Filmemacher „entdeckten“ Baupläne für Stollenbauten in St. Georgen seien seit Jahrzehnten frei zugänglich und würden obendrein Projekte in Deutschland an einem gleichnamigen Ort betreffen.

„Freigelegte Bauten sind ein Unterstand“

Die bei der Grabung am Gelände des Schützenvereines freigelegten Bauten seien Relikte eines Unterstandes einer ehemaligen SS-Schießanlage, fanden unter anderem Fachleute für Stollenbau und für Schießwesen heraus. Das Bundesdenkmalamt will dort trotzdem noch eine archäologische Grabung durchführen lassen. Die gesicherten Zahlen über die in den Konzentrationslagern festgehaltenen Menschen würden auch der Vermutung widersprechen, dass in unbekannten, gesprengten Stollen mehrere Zehntausend „fehlende“ tote Häftlinge liegen könnten.

„Keine weitere Stollenanlage“

Perz erklärte auf die Frage, ob er ausschließen könne, dass es in St. Georgen über „Bergkristall“ hinaus noch eine große Stollenanlage gebe: „Nach allem, was wir an Belegen haben: Ja“. Theune-Vogt äußerte sich in seinem Sinne: „Ich kann das nach bestem Wissen und Gewissen versichern“. Festgehalten wurde, dass Sulzer eingeladen worden sei, sein Wissen in die Expertenrunde „einzuspielen“. Er habe aber nur einen mündlichen Bericht vorgetragen und Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt.

Sulzer: „Informationen zu weiteren Stollensystemen“

Andreas Sulzer, der sich derzeit im Zusammenhang mit seinen Filmprojekten in den USA befindet, ließ über seinen Anwalt neuerlich mitteilen, er sei auf Informationen gestoßen, wonach es weitere Stollensysteme gebe. Von ihm vorgeschlagene Bohrungen seien abgelehnt worden. Außerdem berief er sich auf Stefan Karner vom Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, der angekündigt habe, die Unterlagen zu prüfen und erklärt habe: „Atombomben werden wir hier sicher nicht finden. Doch es ist möglich, dass wir ein Tor aufstoßen, von dem wir heute noch gar nicht ahnen können, was sich dahinter verbirgt“.

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